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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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nach Starenschwärmen Ausschau, doch heute waren nur ein paar Weißkopfmöwenzu sehen, die über den Dächern der Innenstadtpaläste kreisten; vermutlich hatten sie dort ihre Nistplätze. Möwen, fiel mir ein, belästigen andere Meervögel so lange, bis die ihre Fischbeute erbrechen; die schnabelgerechten Stücke fangen sie im Flug auf.
    Ich rief Marta an, um sie zu fragen, ob es ihr besserginge, aber sie hob nicht ab. Auch Vittorio konnte ich nicht erreichen. Vermutlich war er auf dem Weg ins Geschäft, und das Handy steckte im Sakko, das er auf dem Rücksitz ausgebreitet hatte. Selbst wenn es kühl war, pflegte er seine Anzugjacke auszuziehen, damit sie während der Fahrt nicht zerknittert.
    Ãœberall standen Gruppen von Menschen, die darauf warteten, daß die Geschäfte aufmachten. Ich beschloß, noch einen Orangensaft zu trinken, bevor ich zur nächsten Haltestelle vorging. Die Bar war überfüllt; vor dem Eingang standen mehrere Männer, die ihre leeren Espressotassen in den Drahtkorb eines Mopeds stellten. Ich nahm die
Repubblica
und zog mich auf die andere Seite der Theke zurück, wo der Lärm der Kaffeemaschine weniger laut war. Ein dunkelhäutiger Mann in ausgetretenen Sandalen bot mir Feuerzeuge an, von denen einige die Form einer Handgranate hatten.
    Â«Aber sie muß es doch merken», sagte eine Stimme hinter mir. «So dumm kann man doch gar nicht sein. Das geht ja schon eine Weile.» Ich sah von der Zeitung auf, drehte mich möglichst unauffällig nach links, um zu sehen, wem die Stimme gehörte. Im Profil glich die Frau einer Kundin von Vittorio. Die gleiche Nase, das gleiche fliehende Kinn. Ich konnte mich sogar erinnern, welche Möbel sie zuletzt gekauft hatte; es waren zwei verchromte Stahlrohrstühle mit schwarzer Lederbespannung. Eigentlich hatte sie nach stapelbaren Belotti-Stühlen gesucht, sich dann aber mit den Mies-van-der-Rohe-Imitationen zufrieden gegeben. In diesem Augenblick fragte der Kellner hinter der Theke nach meiner Bestellung. Ichkriegte kein Wort heraus, schüttelte nur den Kopf, drückte ihm die
Repubblica
in die Hand und schob mich, das Gesicht von der Frau abgewandt, damit sie mich nicht erkennen konnte, durch die Menge ins Freie. Auf dem Weg zur Haltestelle wiederholte ich die Sätze, die ich aufgeschnappt hatte.
    Ich wartete zehn Minuten, zwanzig, der Bus kam nicht, dann hielten zwei hintereinander, aber ich stieg nicht ein. Der Feuerzeugverkäufer hatte die Bar ebenfalls verlassen; er zeigte den aussteigenden Fahrgästen die kupferfarbenen Handgranaten und Kobras. Da sich niemand dafür interessierte, zog er phosphoreszierende Haarspangen und Armreifen aus der Tasche. Seine Fersen und Zehen waren schwarz vom Staub der Stadt.
    Ich winkte ein Taxi herbei, beschloß, Vittorio in seinem Geschäft aufzusuchen. An der Ampel standen die Moped- und Vespafahrer so dicht am Autofenster, daß ich die Nähte an ihren Hemden und Hosenbeinen erkennen konnte.
    Auf der Fahrt nahm ich nichts wahr als meine Müdigkeit. Ich versuchte die Sätze der Kundin zu vergessen. Als ich den Taxifahrer betrachtete, stellte ich mir vor, wie er seine Frau betrog, vielleicht mit einer Taxifahrerin, die für dieselbe Firma arbeitete, oder mit seiner Schwägerin. Erst jetzt bemerkte ich, daß der Fahrer das Taxameter gar nicht eingeschaltet hatte, es war mir egal. Nachdem er vor dem Geschäft angehalten hatte, zahlte ich, was er von mir verlangte.
    Im Schaufenster standen dieselben Möbel wie vor einer Woche; Vittorio hantierte mit größeren Papierrollen.
    Â«Was für eine schöne Überraschung.» Er kam mir mit offenen Armen entgegen. «Kaffee?»
    Ohne meine Antwort abzuwarten, ging er mit einer Rolle vor die Tür. «Sieh dir das an. Unglaublich, nicht? Weißt du, was das ist? Siebziger Jahre. Emilio Pucci. Sagt dir das was? Sie stehen doch jetzt alle auf diese bunten, verknäuelten Formen.» Er entrollte die Tapete und hielt sie in die Sonne.
    Â«Das reicht ja nicht einmal für eine Badezimmerwand», sagte ich.
    Â«Ich weiß. Ich will sie auch nicht verkaufen.» Er kam zurück ins Geschäft und verschwand im hinteren Zimmer, um Kaffee aufzusetzen. «Wie war’s?» hörte ich ihn rufen.
    Â«Anstrengend wie immer.» Ich setzte mich auf einen Sessel, von dem ich annahm, daß er nicht besonders wertvoll war, und schloß die Augen. «Marta ist

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