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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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anderen Schriftart in den neuen Satz», sagte Zeder. «Heutzutage sind die Texte voll von Zwiebelfischen. Die in einer Schriftart nicht vorkommenden Sonderzeichen werden durch Sonderzeichen aus einer anderen Schriftart ersetzt.»
    Irma fiel das Wort
Buchstabentransplantation
ein.
    Warum man zu diesen versehentlich in einer anderen Schriftart gesetzten Lettern
Zwiebelfische
sagte, das konnte auch Zeder nicht erklären. Den Fisch gebe es wirklich, sagte er. «Ichglaube, es ist eine Karpfenart. Vielleicht hatte jemand mal beim Anblick der durcheinandergeratenen Schrifttypen an einen Schwarm Zwiebelfische gedacht.»
    Sein Vater, erzählte er später, habe ihn zum Lernen nach Innsbruck geschickt. «Man muß weit genug weg, sonst wird das nichts.» Erst nach der Meisterprüfung sei er in den Familienbetrieb zurückgekehrt.
    Zeder blickte zur Tortenvitrine, fragte Irma, ob sie nicht einen Kuchen bestellen wolle, dann fuhr er fort: Einmal habe er mit einem Kollegen unter enormem Zeitdruck den Winterfahrplan der Innsbrucker Verkehrsbetriebe erstellen müssen. Das sei eine typische Gesellenarbeit gewesen, bei den etablierten Schriftsetzern wegen der kleinen Zahlen wenig beliebt. «Natürlich war Wochenende», sagte Zeder, «und wir haben uns so kurz vor der Meisterprüfung richtig ins Zeug gelegt, nicht nur um unserem Meister zu imponieren, sondern auch weil wir noch am selben Abend ins Stubaital fahren und am nächsten Tag zu den Gletschern aufsteigen wollten.» Um schneller wegzukommen, hätten sie den Lehrling beauftragt, die beiden Seiten in die Abziehpresse zu stellen. «Es war alles perfekt gewesen, das können Sie mir glauben, ein fehlerloser jungfräulicher Satz», Zeder machte eine kurze Pause. «Aber dann – wir hatten uns schon auf den Weg gemacht – war dieser Lehrling gestolpert. Linien, Zahlen und Ausschußmaterial – der ganze Fahrplan auf dem Boden!» Er lachte, schüttelte den Kopf. Der Meister habe, um den Termin einhalten zu können, das Wochenende in der Setzerei verbringen müssen. Den darauffolgenden Montag werde er sein ganzes Leben nicht vergessen.
    Wieder fragte Zeder, ob Irma nicht etwas essen wolle. «Oder dürfen Sie nicht?» Erschreckt schaute er Irma an. «Ich meine, wegen der Krankheit.»
    Â«Ganz im Gegenteil, ich kann jetzt wieder alles essen. Dasist das Problem.» Was für ein Problem, dachte Irma, kaum geht es einem besser, schon benützt man unhinterfragt die Worte, nimmt ihnen ihr Gewicht. Sie mochte Zeder nicht enttäuschen und bestellte eine Esterházyschnitte. Zuletzt hatte sie eine gegessen, als sie sich mit Greta im Café Diglas getroffen hatte, vor dem großen Streit. Vielleicht will mir Greta einfach keine zweite Chance gönnen, weil sie nicht einmal ihre erste zu nützen weiß, dachte Irma. Sie hatte von ihrer Mutter erfahren, daß Greta eine Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsplatzes gekauft habe, so klein, daß für jemand anderen gar kein Platz sei.
    Â«Emmy hat am liebsten Kardinalschnitten gegessen», sagte Zeder und schaute auf seine Hände. Dann fing er wieder an zu erzählen, wie wichtig der Jugendstil für die Typographie gewesen sei; man habe endlich aufgehört, die historischen Stile nachzuahmen, und zu einer harmonischen und zweckmäßigen Form gefunden. «Die großen Reformer waren dann die Bauhaus-Leute gewesen und dieser verrückte Marinetti in Italien. Oder denken Sie nur an Kandinsky und Mondrian, die haben eine ganze Generation von Typographen geprägt. Und die Dada-Bewegung! Verstehen Sie? Endlich hat man sich aus der Verkrampfung gelöst und zu einer elementaren Typographie gefunden.»
    Irma nickte. Am Nebentisch unterhielt sich eine junge Frau mit ihrem Freund, sie warf ihm vor, daß er sich zuwenig Zeit für sie nehme.
    Â«Jetzt habe ich Zeit», sagte der Mann, «was willst du noch. Du kannst ja doch nichts damit anfangen.»
    Irma versuchte sich auf Zeder zu konzentrieren.
    Â«Wissen Sie übrigens, warum die Setzer von den Pressern
Affen
genannt wurden?» fragte Zeder.
    Â«Du langweilst mich», sagte die junge Frau am Nebentisch.
    Â«Dann verstehe ich nicht, warum du dich darüber beklagst,daß wir uns so selten sehen. Oder geilt dich das auf, daß ich dich langweile?»
    Â«Arschloch.»
    Jetzt war auch Zeder auf die Streitenden aufmerksam geworden.
    Â«Nein, ich hab’s irgendwo mal

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