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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Vorlage gestreift, oder es war etwas Flüssigkeit aus der Bettschüssel geschwappt. Ich kramte ein paar T-Shirts hervor, steckte meine Nase rein, fürchtete, daß auch den anderen Stoffen die Ausdünstungen und Ausscheidungsgerüche der Alten anhafteten. Vielleicht ekelte sich Vittorio längst vor mir? Ich öffnete seinen Schrank, als fände sich darin eine Antwort. Links neben dem Innenspiegel hing eine Anleitung zum Krawattenbinden. Der asymmetrische Four-in-hand-Knoten war neben dem einfachen und doppelten Windsor-Knoten abgebildet. Ich dachte daran, wie Vittorio mit Mauro das Krawattenbinden geübt hatte. Bis dahin war Mauro mit von der Mutter vorgebundenen Schlipsen herumgelaufen; Vittorio konnte es nicht fassen. «Eine gut gebundene Krawatte ist der erste ernsthafte Schritt ins Leben», hatte er zu Mauro gesagt. Es war ein Zitat gewesen; der Name des Schriftstellers wollte mir jetzt nicht einfallen, wohl aber Mauros Lachen. Er hatte es damals sichtlich genossen, daß Vittorio ihm am Oberschenkel das Schleifenbinden beigebracht hatte. Eine Armlehne hätte es auch getan, dachte ich bei mir, und griff nach Vittorios Cashmerepullover, dem teuersten, den er je besessen hat. «Fürs Krawatten binden»,sagte ich leise und gab der Schranktür mit der Fußspitze einen Stoß.
    Nachdem ich das Auto entrümpelt hatte, Vittorios Tapetenrollen, Kataloge und verschiedene Ersatzteile von Stühlen und Sofas endlich in der Wohnung waren, fuhr ich los. Der Vormittagsverkehr hatte eingesetzt. Ich fluchte über ein Dreirad, das sich vor mir in die Schlange zwängte. Es war mit Gasflaschen beladen. Ein Mopedfahrer nützte die geringe Breite des Fahrzeugs aus, um sich daneben einzureihen. Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Hintern abwenden. Fickt er, oder wird er gefickt? Eine Hand behielt ich am Lenkrad, mit der anderen massierte ich meine Schläfe.
Cocktail di maschio per signora
. Diese aufgeklappten Beine, dachte ich, wie Stühle. Dann fiel mir ein Satz ein, der jahrelang auf dem Schaufensterglas geklebt hatte:
Ein Mann, der keinen Sessel hat, hat nichts
. Sottsass stand darunter, Ettore Sottsass.
    Ãœberall fuhren Mopeds; das Brummen und Knattern war derart penetrant, daß ich das Radio einschaltete. Ich tastete nach dem Handy auf dem Beifahrersitz. Vor einer Ampel drückte ich auf
Vibration
, schob den Rock etwas hoch und steckte das Mobiltelephon zwischen die Beine, damit die Anrufe im Lärm nicht verlorengingen.
    Jemand wird das Kuvert entgegennehmen, dachte ich, hoffentlich Okhi. Sie würde es, ohne zu sprechen, Carelli überreichen und das Zimmer verlassen. Marta hingegen würde sich für all die Verletzungen und Demütigungen rächen. Ich stellte mir vor, wie sie die Pornohefte vor Carelli in den Müllsack steckte, wie sie ihn beschimpfte. Im ungünstigsten Fall träfe es Carellis katholische Schwester; die bliebe gewiß keine Sekunde länger im Zimmer. Sie würde die
schmutzige Angelegenheit
der Chefin melden.
    Der Himmel war vogelleer; über den Kuppeln und Hausdächernverblaßten die Kondensstreifen mehrerer Flugzeuge, die in Fiumicino gestartet waren. Die weißen Linien zeigten alle in die gleiche Richtung. Ich war auf einer Kreuzung, als ich den Anruf spürte, ein leichtes Zittern erst, das in eine immer stärkere Vibration überging. Es war Rino.
    Â«Sehen wir uns?»
    Â«Ich fahr’ weg», sagte ich. «Jetzt.»
    Wo ich denn sei.
    Warum nicht, dachte ich.

XXII
    Friedrich wartete hinter der Absperrung zwischen zwei Männern, die Schilder mit italienisch und japanisch anmutenden Namen in die Höhe hielten. Er war schon vor mehreren Stunden zum Flughafen gefahren, weil er nicht wußte, welche Maschine Irma nehmen würde. Als er Davide sah, trat er einen Schritt zurück, als wolle er sich hinter den anderen Wartenden verstecken. Erst nachdem ihm Irma erklärt hatte, daß Davide der Lebensgefährte ihres Bruders sei, trat ein Lächeln in sein Gesicht. Er sei nur ein einziges Mal in Rom gewesen, erzählte Friedrich. «Mama hat sich damals große Sorgen gemacht. Zwei Wochen zuvor war der Anschlag auf den Bahnhof von Bologna verübt worden; sie wollte mich erst gar nicht fahren lassen. Das ist jetzt über zwanzig Jahre her», sagte Friedrich und griff nach Irmas Hand. «Das nächste Mal müßt ihr mich unbedingt mitnehmen.»
    Friedrich brachte erst Davide nach Hause,

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