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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Stuhl – hast du nicht dagegen gepredigt?»
    Â«Ich bin kein Pfarrer, Mira.» Vittorio lachte.
    Â«Das ist zuviel», sagte ich und kratzte mit der Messerspitze die Butter von der Toastscheibe. «Ein Zitat war doch von diesen Pythagoreern – Sitzen als – wie hast du es genannt? – alsErhabenheit und Entrückung. Man fühlt sich erhoben und enthoben zugleich, ist es nicht so?»
    Â«Die Throne der Ohnmacht», ergänzte Vittorio.
    Â«Das Tun des Nicht-Tuns.»
    Â«Das ist nicht von den Pythagoreern.»
    Â«Von wem dann?»
    Vittorio dachte kurz nach. «Irgend etwas Altes, Chinesisches.»
    Â«Aber auch über das Sitzen.»
    Vittorio nickte.
    Â«Ãœber das Aussitzen», sagte ich leise.
    Er stand auf, griff nach der Caffettiera. «Meiner Mira entgeht nichts», sagte er. «Du könntest sofort das Geschäft übernehmen. Die Verkaufsschlager hast du intus.»
    Er schraubte die Kanne auseinander, drehte den Wasserhahn auf.
    Â«Verkaufsschlager», sagte ich halblaut. Mein heiseres «Vittorio» ging im Geplätscher unter. Er reinigte mit dem Zeigefinger das Gehäuse der Caffettiera, während ich seinen Arsch betrachtete, diesen fremd gewordenen Teil, den ich nie besessen hatte. Läßt er sich ficken, oder fickt er? Oder beides?
    Ich aß, um zu essen, hatte keinen Hunger. Die Brioche blieben im Stahlkörbchen, einem Geschenk von Mauro.
Wie kann man nur so leichtgläubig sein
. Ein Mann bringt doch eine Flasche Wein mit, lädt auf eine Runde Bier ein. Er kauft keine Körbchen. Kauft keine Blumen. Kauft kein –
    Â«Wann fährst du?» Vittorio trocknete sich die Hände ab.
    Â«Weiß noch nicht.» Kannst es nicht erwarten, dachte ich.
    Â«Ich brauch’ das Auto nicht», sagte Vittorio.
    Wahrscheinlich wartet er auf den Tod seiner Mutter, um frei zu sein. Undenkbar für ihn, sich vorher zu outen. Und die Kinderlosigkeit entschuldigt er lieber mit einer gestörten Spermatogenese.
    Â«Was ist? Irgend etwas ist doch.» Er kam auf mich zu, berührte meine Schultern. «Müde?»
    Â«Ja», sagte ich.
    Vittorio fuhr ins Geschäft, und ich versuchte zu schlafen. Bilder folgten auf Bilder. Ich hatte sie wohl über die Jahre mit einem innerlichen Klick aufgenommen und irgendwo abgespeichert. Ohne es zu wollen, entwickelten sich nun die Negative zu klaren Photosequenzen. Lucchi hatte mir die Augen geöffnet. Jetzt blieben sie auch im geschlossenen Zustand offen. Aha. Deshalb. Wie konnte ich nur.
    Ich wälzte mich, stand auf und packte.
    Ich holte die Pornomagazine aus dem Bad. Überall die gleichen Titel:
La contessa vuole il sigaro, Le pazze voglie di una signora bene
oder einfach nur:
Voglie di una signora bene.
Edeldamen im Visier. Frauen aus gutem Haus. Ich zögerte, schälte ein Heft aus dem Cellophan. Blätterte.
Cocktail di maschio per signora.
Es waren immer zwei Männer, die es einer Frau besorgten. Angezogene Männer, deren Schwänze aus dem Hosenschlitz ragten. Männer mit verrutschten Krawatten, halboffenen Mündern. In T-Shirts und kurzen Hosen. Mit von der Anstrengung geröteten Wangen, an der Stirn klebenden Haaren.
Doppia penetrazione. Divano per tre
.
    Ich steckte die Hefte in ein luftgepolstertes Kuvert, beschriftete es: Signor Giovanni Carelli Casa di riposo … Das Schwulen-Magazin
babilonia
rührte ich nicht an. Ich legte es zur Mappe mit den Stühlen. Soll er es finden. Mauro verdächtigen. Sich den Kopf zerbrechen. Oder einfach nur erschrecken, wie ich erschrocken bin. Vielleicht wird auch er lange und ausgiebig duschen.
    Ich weiß nicht, warum ich in diesem Augenblick an die Drosseln und Krähen denken mußte. Alberto aus dem Vogelzentrum hatte mir einmal erzählt, daß sie die Bussarde, Adlerund Uhus vertreiben, indem sie sie mit Scheiße bombardieren.
    Das Notwendige war in der Tasche. Ich rief Mutter an, erreichte sie nicht, wollte nicht auf die Mobilbox sprechen. Die Hand schmerzte wieder. Ich stand unschlüssig im Vorzimmer; seine Reglosigkeit und Stille bedrückten mich. Die Fenster waren alle geschlossen. Ich überlegte, Vittorio einen Zettel zu hinterlassen. Wie früher, dachte ich, aber es fiel mir nichts ein, was ich hätte schreiben können.
    Ich ging noch einmal zurück ins Schlafzimmer, holte eine wärmere Jacke. Sie roch nach Urin. Vielleicht hatte ich bei einem meiner letzten Nachtdienste mit dem Ärmel eine

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