Über Stock und Runenstein

nichts anderes tun können, als immer nur rudern oder
seekrank werden. Schließlich geht man an Land und will sich mal ordentlich in
netter Gesellschaft vollsaufen, und es gibt nichts dergleichen. Können Sie
nicht die tiefe Verzweiflung hinter diesen einfachen, eindrucksvollen Worten
spüren? Die ausgedörrte Kehle, die -« Thorkjeld Svensons Blick fiel zufällig
auf Miss Hildas hübsches lila Kleid, und er brach die für ihn ohnehin
ungewöhnlich lange Rede wieder ab.
    »Der arme Orm«, schloß er mitfühlend
und neigte ehrfürchtig den Kopf vor einem Mann, in dem er offenbar einen
gefallenen Kameraden sah.
    »Nun ja«, gab Shandy zu. »In diesem
Licht habe ich die Sache noch nicht betrachtet. Außerdem, wenn ich mal so sagen
darf, wenn man professionell ohnehin mit, eh, Schlagen und Hauen zu tun hat,
bedeutet die Arbeit an einem Runenstein wohl höchstens eine entspannende
Freizeitbeschäftigung. Hat Ihr Onkel bereits eine Vermutung, wann dieser Stein
bearbeitet wurde?«
    »Die Runen stammen aus einer späten
dänischen Periode. Möglicherweise aus der Zeit von Sven Gabelbart oder Knut dem
Großen.«
    Shandy brach der Schweiß aus. »König
Knut?«
    »Klar. Selbst ein Klotz wie Sie muß
schon von König Knut gehört haben.«
    »Ich dachte immer, er war König von
England?«
    »War er auch. Und von Dänemark und
Norwegen. War sogar ein verdammt guter König. Hat England erobert und Emma, die
Witwe von Aethelred dem Ratlosen, geehelicht. Ich möchte wetten, daß Emma den
alten Knut nicht ratlos gefunden hat.«
    »Wann hat er gelebt?«
    »Ende des 10., Anfang des 11.
Jahrhunderts. Wieso?«
    »In der Lumpkin-Familie haben viele
Männer den Namen Canute getragen, was wohl die englische Version des Namens
Knut ist. Spurge Lumpkin, der Knecht der Horsefalls, der heute mittag ums Leben
gekommen ist, hat auch einen Vetter, der Canute heißt, und der jetzt der
einzige noch lebende Verwandte ist. Canute war außerdem der Name ihres
Großvaters oder was immer er war. Dieser Canute hat den Lumpkinschen
Familienbesitz in einem derart chaotischen Zustand hinterlassen, daß er zum
Schluß eine Tontine wurde.«
    »Der letzte, der übrigbleibt, kriegt
alles, was?«
    »Genau. Eine alte Wikingersitte, nehme
ich an?«
    »Arr!«
    Thorkjeld sah ziemlich zufrieden aus
und machte sich daran, seinem Großonkel die Situation zu erklären, woraufhin
dieser zustimmend nickte. Offensichtlich begrüßten sie es beide sehr, daß
altnordische Sitten in Balaclava County noch zählten. Shandy wollte es nicht
gelingen, ihre Genugtuung zu teilen.
    »Ich kann nichts Großartiges darin
sehen, wenn jemand einem alten Mann Löschkalk ins Gesicht spritzt.«
    »Stimmt. Degeneriert. Nicht
traditionsgemäß. So jemandem sollte man mit der Kampfaxt das Hirn rausschlagen.
Mit dem Breitschwert in Stücke hacken. Bei lebendigem Leib den Bauch aufschlitzen
und die Rippen freilegen und zusehen, wie die Lungen flattern.«
    »Hören Sie sofort auf damit,
Präsident.«
    »Hat man damals Blutadler genannt«,
fuhr Thorkjeld ungerührt fort. »Etwas derber Humor. Beinahe wie das Zeug, das
man heute im Kinderprogramm sehen kann. Das mit diesem Knut ist interessant.
Nach der Heirat mit Emma hat er sich angepaßt. Hat seine dänischen Frauen
wieder nach Hause geschickt. Und auch ein paar von seinen dänischen Truppen.
Aber was sollten die zu Hause in Dänemark? Rumsitzen und Streitäxte drehen?
Sind wohl eher wie anständige Wikinger rumgezogen und haben kräftig
mitgemischt. Und was soll schlimm daran sein, zum Teufel?«
    »Vass ssoll sslimm taran ssein?«
stimmte Onkel Sven zu, der offenbar ohne Schwierigkeiten Thorkjelds Gedankengängen
folgen konnte. »Hah, Mädssen?«
    »Ich hätt’ mir diesen verdammten Knut
vorgeknöpft, wenn ich seine verfluchte dänische Ehefrau gewesen wär’ un’ er
mich für irgend’n Weib namens Emma sitzengelassen hätt’, schnurzegal ob Königin
oder nich’«, erwiderte Miss Hilda.
    »Hah. Tu kut nordiss Frau.«
    »Das wäre gar nicht einmal so abwegig«,
meinte Shandy. »Ihr Neffe heißt Hengist, wie in Hengist und Horsa. Sie waren
zwar Sachsen, aber waren die nicht ebenfalls Seefahrer, und war nicht auch ein
Hengist König von England? So ungefähr im 5. Jahrhundert nach Christus? Seine
Nachkommen hatten sich bereits an die Kultur angepaßt, als Knut auftauchte,
aber sie waren sicher alle, eh, Brüder unter der Streitaxt, wenn ich so sagen
darf. Wäre es möglich, daß es auch in Orms Mannschaft einen Hengist gegeben
hat?«
    »Warum