Über Stock und Runenstein
wohl als allererste hingewiesen hätte.
»Der einzige Grund, warum Hilda nie
geheiratet hat, ist, daß sie clever genug war, nie in eine Situation zu kommen,
in der sie es gemußt hätte, wenn man die Geschichten, die man so hört, glauben
soll. Nun ja, sogar mein eigener Großvater hat damals -« Mrs. Lomax konnte sich
gerade noch weitere Indiskretionen verkneifen. »Aber das tut ja nichts zur
Sache. Ich möchte behaupten, es war nie etwas an der Geschichte dran, und ich
würde sie auch dann nicht wiederholen, wenn sie wirklich stimmen würde. Meine
Mutter pflegte immer zu sagen, ein anständiger Vogel beschmutzt nie das eigene
Nest. Hat Mrs. Shandy einen neuen Mop gekauft? Verschwinde endlich, Jane. Ich
kann doch nicht den Boden aufwischen, wenn du an meinen Schürzenbändern
herumschaukelst.«
»Ich nehme an, daß sie es getan hat,
wenn Sie es ihr gesagt haben«, meinte Shandy, pflückte das Katzenbaby von Mrs.
Lomax’ Rock und kitzelte Janes Schnurrhaare. »Miss Horsefall ist also nicht
die, eh, süße kleine alte Dame, für die man sie halten könnte?«
»Die ist genauso süß wie ein Faß
eingemachte Essiggurken«, Mrs. Lomax hatte inzwischen den Mop gefunden und
bearbeitete den Flur. »Könnten Sie bitte ein wenig zur Seite treten, Professor?
Ich nehme an, wenn jemand 105 Jahre alt ist, sollte man ein Auge zudrücken,
aber ich kann Ihnen sagen, wenn Miss Hilda Horsefall nicht so alt wäre, würden
sich nicht so viele Leute ein Bein für sie ausreißen. Die Frau hat Haare auf
den Zähnen. Ihre angeheiratete Großnichte Jolene zum Beispiel, vielleicht
kennen Sie sie zufällig auch, sie ist die Cousine vom Mann meiner Schwester und
hat einen von den Horsefall-Jungens geheiratet.«
»Zufällig bin ich ihr gerade gestern
abend begegnet. Sie war auf der Farm und, eh, half ein wenig aus.«
»Ja, das ist typisch für Jolene. Immer
direkt zur Stelle, wenn Not am Mann ist, obwohl sie selbst ein schweres Leben
hinter sich hat, das kann man wohl sagen. Nicht daß Eddie kein fleißiger Mann
ist, aber mit den Kindern kommen sie kaum über die Runden, auch wenn die
älteste Tochter bereits selbst verheiratet und Mutter ist. Frühgeburt«, fügte
Mrs. Lomax noch kampflustig hinzu.
Shandy nickte. Frühgeburten waren in
Balaclava County an der Tagesordnung. Manchmal wogen die Kleinen allerdings
zehn Pfund und mehr.
»Ist ja auch egal. Wie ich schon sagte,
Sie können sich nicht vorstellen, was Jolene nicht schon alles mit dieser alten
Tante Hilda mitgemacht hat. Eddie hat eine Schwäche für die alte Kratzbürste,
was wohl ganz natürlich ist, nehm’ ich an, denn sie ist ja schließlich sein
eigen Fleisch und Blut. Ich habe auch immer gesagt, eine Familie soll zusammenhalten,
egal, was kommt. Da fällt mir gerade ein, stimmt es, daß die Tochter von Feldsters
sich scheiden lassen will?«
»Da kann ich leider nicht
weiterhelfen«, sagte Shandy, der sich schon oft gefragt hatte, wie ihr Vater es
so lange in seiner Ehe ausgehalten hatte. »Jolene hat also mit ihrer
angeheirateten Verwandtschaft schon so einiges mitgemacht?«
»Nicht mit ihren Schwiegereltern.
Eddies Mutter ist der Meinung, daß Jolene die beste Schwiegertochter aller
Zeiten ist. Sie hat eine eigene kleine Wohnung im Seniorenblock drüben in West
Lumpkin und arbeitet zweimal die Woche in der Schulcafeteria. Es ist
schrecklich für so alte Leute, wenn sie so viel Geld ausgeben müssen und so gut
wie nichts bekommen. Ich sage immer, sie sollen sich so lange nützlich machen,
wie es geht. Jedenfalls bringt ihr Jolene immer die Einkäufe mit dem Auto und
lädt sie treu und brav jeden Freitagabend zum Essen ein, und das ist mehr, als
viele Töchter für ihre leiblichen Eltern tun. Jane, wenn du jetzt in den
Putzeimer springst, wird es dir noch leid tun. Der Vater ist schon seit 15
Jahren oder mehr tot. Hat sich ins Grab geschuftet, und von Henny und Hilda hat
er nie auch nur für einen Pfennig Hilfe erwarten können, kann ich Ihnen sagen.«
»Vielleicht haben sie ja selbst keinen
Pfennig«, sagte Shandy.
»Na wenn schon, aber sie haben
schließlich den Riesenhof ganz für sich allein, und da hätte man schon etwas
mehr erwarten dürfen. Aber wieder zurück zu Jolene. Sie ist wirklich eine
grundanständige Frau, aber glauben Sie, daß diese alte Hilda ihr auch nur die
Tageszeit sagt? Jolene sagt, sie kann noch nicht mal das Abtrockentuch in die
Hand nehmen, wenn sie sich in der Küche nützlich machen will, denn sofort sitzt
ihr diese Tante Hilda im Nacken
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