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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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schließlich aufstand, mit einem Gesicht, als hätte er Migräne. Und als wir die Treppe zur Straße hochstiegen, kichernd, breitbeinig und mit baumelnden Armen, bog ein Feuerwehrwagen mit heulender Sirene um die Ecke; und Chuck und Zork rissen die Arme hoch und stimmten, wie Hunde, fuchtelnd in das Heulen ein.

20
    Ich hütete meine Entdeckung wie einen Schatz. Mein Wissen fühlte sich an wie ein Backstage-Pass, die Einladung zu einer After-Show-Orgie mit mir als einzigem Gast. Unauffällig hielt ich mich in Amys Nähe, brachte ihr halbe Hähnchen, rasierte ihr sogar die Glatze nach, während sie aus den Fenstern starrte wie auf einen Bildschirm. Amy gab noch immer nichts preis, aber sie stellte auch keine Fragen; auf ihre Stummheit konnte ich mich verlassen.
    Ich konnte nicht anders, als Amys Nähe zu suchen. Meine Seele sehnte sich nach Levitation. Tatsächlich spürte ich Leichtigkeit in Amys Gegenwart; die Leichtigkeit, die aus der Erleichterung kam, wenn ich etwa den Mut fand, gemeinsam mit ihr vom Penthouse aus die Einfahrt der Englandfähre zu verfolgen. Amy sah mich nicht an dabei; und so war ich frei, nach Herzenslust die Blicke auf Amy grasen zu lassen, auf ihrem grandios und heldenhaft zerstörten Körper.
    Ohne mich zu beachten, zog sie die Schuhe aus, entblößte schwarz bröckelnde Fußnägel, einen flachen, freundlichen Spann. Und je unsichtbarer ich für sie wurde, desto wirklicher wurde ich mir selbst, desto plastischer fühlte sich mein eigener Körper an, mein elegant geschwungener Magen, meine schmerzenden, sehnsüchtigen Lungenflügel, die mich vielleicht hinauftragen konnten in die jodhaltige Luft.
    Ich versuchte nicht, Amy zu begreifen. Engel waren unbegreiflich. Auch wenn ich gern gewusst hätte, was Amy an Zork fand, der sie nicht achtete; der sie an der Nase packte und währenddessen mit Paul in belehrendem Ton über Bierpreise sprach. Der sie in ihrem Erbrochenen liegen ließ, wenn sie sich manchmal frühmorgens im Hoteltrakt einrollte, um ein leeres Zentrum gewunden wie eine Fibonacci-Spirale, die Grundform des Universums.
    Ich nahm dann eins der zahllosen Gratisexemplare der Geldzeitung , die wir bei unseren täglichen Patrouillen im Eingangsbereich des Verlagsgebäudes mitzunehmen pflegten, und wischte den Beton sauber. Es machte mir nichts aus, Amys Essenz an meinen Fingern zu spüren; ich wusste ja, dass es nichts Körperliches war, vielmehr leicht, fast wie Tau.
    Diese Momente, da Amy kaum noch sprechen konnte, waren die einzigen Momente, in denen sie sprach. Doch ich war schockiert, als ich das erste Mal ihr leises »Leave me alone« hörte. Es war ein Wimmern, das nichts mit der Kraft ihrer Stimme gemein hatte, das aus einer anderen Welt zu dringen schien, einer anderen Lunge. Ich versuchte, nicht auf dieses fremde Organ zu hören; ich griff unter Amys Achseln, packte ihren Unterarm. Sofort sackte ihr Kopf auf die Brust; die Lider senkten sich tief. Ich drapierte Amy auf ein paar Dämmwollkissen; es war schön, diesen Körper zu arrangieren, eine Form zu finden für eine Seele oder was immer es war, das die Engel am Leben hielt.
    Einmal legte ich leise, um Amy nicht aufzuwecken, ein paar Kissen für mich selbst dazu. In sicherem Abstand zu Amy reihte ich sie auf, mindestens vier, fünf Meter. Dann streckte ich mich aus, lag, das Kinn in die linke Hand gestützt, vor mir die Nikon,die ich nie aus den Augen ließ. Ich fragte mich, ob ich es fertigbrächte, Amy so zu fotografieren: in diesem Zustand, in diesem Arrangement, das ich mir ausgedacht hatte; das Menschenwerk war, das der Natur der Engel nicht entsprach. Mittlerweile kam es mir frivol vor; ein Betrug, der seine Strafe in sich selber fand.
    Ich sah zu, wie Amy sich wälzte. Ich wusste, dass dieses Wälzen etwas zu bedeuten hatte; es war eine Sprache, eine Botschaft, wie alles, was Engel tun. Ich versuchte, Amys Botschaft zu entziffern; ich hörte ihr Grunzen, ihr schlürfendes Brabbeln. Und als ich ihr »Fuck off« hörte – es klang müde und beinahe bedauernd –, da wusste ich, dass Amy aufgewacht war und mich ansah.
    Ohne Widerrede räumte ich das Feld. Ich rollte den Schlafsack ein, hängte die Nikon über die Schulter. Ich schleppte meine Kissen in den Nebenraum und schlief, auf seltsame Art zufrieden, angefüllt mit Träumen von Baumhotels, von Raubkatzen auf drei Beinen. Doch am nächsten Mittag sah ich, wie sich aus Amys Schlafsack ein zottiger Kopf hervorwühlte, der Zork gehörte.
    Ich starrte den Schlafsack an.

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