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Ueberdog

Ueberdog

Titel: Ueberdog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg-Uwe Albig
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entsteigt. Ich fragte mich, ob es überhaupt Bilder gegeben hatte von Amys vorgeblichem Tod;ob es überhaupt etwas geben konnte, von dem es keine Bilder gab.
    Dann hörte ich auf, mir Fragen zu stellen. Ich überließ mich dem Glauben, der Erscheinung, der Evidenz. Und als Amy das Mikrofon wieder auf die Halterung steckte, mit einer Beiläufigkeit, als legte sie die Gabel neben den Teller, da merkte ich, dass ich komplett vergessen hatte, ein Foto zu machen.
    Ich spürte den Drang, auf Amy zuzugehen. Ich wollte mit ihr weinen, sie lachend in die Arme schließen. Doch ich saß da wie gelähmt an unserem Tisch, an dem jetzt Schmiddel die Finger verschränkte, Zork einen Bierdeckel in die Kerzenflamme hielt, Zebra zum Klo aufbrach, Paul der Kellnerin auf den atmenden Bauchnabel stierte. Chuck lachte sein schroffes, vollmundiges Lachen; es galt dem Lokalmanager, der immer noch an unserem Tisch stand, in der Bewegung erstarrt, und mit entrücktem Blick das Geschehen auf der Bühne verfolgte.
    »Die kann’s, Alter«, sagte Chuck zu dem Manager. »Wo einem so viel Gutes wird beschert und so weiter.«
    »Chapeau«, sagte der Manager. »Imelda«, wandte er sich dann an die Kellnerin, »die letzte Runde geht auf mich.«
    »Die haben wir doch gar nicht gekriegt«, brauste Chuck auf. Er wollte aufstehen und den Manager schütteln, aber Zork lehnte sich zurück und hielt Chuck dabei am Gürtel fest wie ein Pferd am Zügel.
    »Lass stecken, Alter«, sagte er. »Über Geld streiten ist was für Loser.«
    In diesem Moment kam Amy zurück. Ich konnte spüren, wie ihre Ankunft den Manager bedrängte, wie er die Hände fast zwanghaft aus den Hosentaschen zog.
    »Madame«, murmelte er und verbeugte sich, die Augen listig zusammengekniffen. »Sie sind ja eine ganz irre Nummer.«
    Er spitzte den Mund, als wollte er flöten. Dann griff er nach Amys Hand, um sie zu küssen. Aber Amy war längst wieder in ihre Betty-Existenz zurückgesunken, ihre Bettizität, die sie zum Sack machte, zur Wolke, zur Molluske. Und ich konnte das Schaudern sehen, mit dem der Manager die Hand ergriff, mit schmalen Lippen antippte und fallen ließ, bevor das Weichtier ihn sich einverleiben konnte.
    Ich aber war unfähig, mich zu bewegen. Denn jetzt setzte Amy sich hin, und sie setzte sich nicht neben Schmiddel, nicht neben Chuck, sondern neben mich. Sie saß in einem Abstand, dass die Härchen unserer Unterarme sich berührten. Ich hielt ganz still, verglich meine Arme mit Amys Armen, meine fleischigen, mit Blut und Lymphe gefüllten Arme, das Muttermal und die Gänsehaut und die blauen Äderchen in der Beuge, und Amys Arme aus Licht, aus Prana, aus leichter Materie, über die Tätowierungen zuckten wie Kondensstreifen am Himmel. Ich wollte Amy etwas sagen, wollte meine Begeisterung stammeln, bis mir aufging, wie unpassend dieses Kompliment wäre, das einer Selbstverständlichkeit galt. Es war, als würde ich eine Verkäuferin im Supermarkt für die Fertigkeit loben, den Kassenbon abzureißen.
    Der Manager hatte unseren Tisch verlassen. Auch die Kellnerinnen bedienten uns nun nicht mehr. Stumm saß ich neben der ebenfalls stummen Amy, während Schmiddel und Zebra, Chuck und Paul längst über Geburtstage sprachen, über kasachische Zuhälter und die Hartz-Gesetze. Ich kostete das Schweigen aus, das mich mit Amy verband, spürte ihrer Kraft nach, die meinenKörper unendlich langsam auffüllte, und fand endlich den Mut, ihr eine Zigarette anzubieten.
    »Betty raucht nicht«, sagte hinter mir eine Stimme, die Zork gehörte. »Stimmt’s, Schatz.«
    Zork war hinter Amy getreten, nahm ihr die angezündete Zigarette wieder aus dem Mund. Dann steckte er sie sich selbst zwischen die Lippen. Amy sackte zusammen, als hätte er einen Stöpsel gezogen; teilnahmslos starrte sie jetzt ins Leere. Zork hielt den Rauch zwischen gehöhlten Wangen, blies endlich eine brezelförmige Wolke aus und gab Amy einen harten Kuss auf den Mund. Dann richtete er sich auf, schlenderte um den Tisch und setzte sich zu Paul, der nur kurz aufblickte, als Zork ihn freundschaftlich ans Schlüsselbein boxte.
    Erst jetzt nahm ich wahr, dass sich noch immer Gäste auf der Bühne versuchten; von fern hörte ich eine fiepende Version von Sheena Malones »If All The Stars From Outer Space«, ein Massaker an »Talk Like Me« von den Parallels und eine haltlose Improvisation über MC Knickerbockers »As Simple As That«. Es war Schmiddel, der beim Intro zu Cern Corinos »Leaving Any Time You Want Me To«

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