Ueberdosis
bestimmt nicht gesünder als die illegalen Drogen, dafür aber gesetzlich erlaubt und überall erhältlich.
Der Regen wurde wieder stärker und prasselte wie Schrot auf den glänzenden Asphalt. Die Straße war menschenleer, und die überfüllten Kneipen zu beiden Seiten erinnerten ihn an aufgetauchte U-Boote, in denen der Beginn der Sintflut gefeiert wurde. Endlich erreichte er die Endstation, eine Musikkneipe, die ihren Namen zu recht trug, der letzte Zufluchtsort für die Nachtschwärmer, wenn überall sonst die Lichter gelöscht wurden. Um diese Zeit war die Endstation bis auf ein paar harte Trinker leer, wortkarge Profis mit zerfurchten Gesichtern und der Gewißheit im Blick, daß sie beim Wirt anschreiben konnten.
Der Wirt war ein kleiner, dicker Mann mit Halbglatze und ergrautem Vollbart, der von allen nur ›der Anwalt‹ genannt wurde, weil er zwanzig Semester Jura studiert hatte, ehe ihm aufgegangen war, daß er nur als Kneipier glücklich werden konnte. Er kannte Markesch schon seit Jahren und kam sofort schnaufend herangewatschelt und stellte ein Glas Scotch auf den Tresen.
»Lausiges Wetter«, brummte der Anwalt. »Hab’ schon versucht, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, damit die Südstadt endlich überdacht wird, aber die Justiz ist völlig korrupt und in der Hand der Regenschirm-Mafia.«
Markesch nickte düster. »Das Leben wird immer härter. Unterwegs habe ich ein paar U-Boote gesehen. Ich hoffe nur, es hat nichts zu bedeuten. Klimatisch, meine ich.«
»Klimatisch bestimmt nicht«, beruhigte der Anwalt. »Höchstens psychologisch. Wahrscheinlich liegt es nur am Säuferwahn.«
Markesch schlürfte seinen Scotch, während die harten Trinker zu den Klängen einer Depeche-Mode- Platte träge mit den Köpfen wackelten. Der Anwalt musterte Markesch mit wachem Interesse.
»Aber ich schätze, du bist nicht hergekommen, um dich mit mir über U-Boote und klimatische Veränderungen zu unterhalten«, brummte er. »Arbeitest du an einem neuen Fall? Oder willst du dich nur gepflegt betrinken?«
»Trinken und Marktforschung betreiben«, erklärte Markesch. »Wie ist denn so die Versorgungslage auf dem Drogenmarkt?«
Der Anwalt zapfte sich ein Kölsch. »Könnte nicht besser sein. Hab’ die Kids schon seit Jahren nicht mehr so vollgedröhnt gesehen.«
»Heroin?«
»Ach was. Wer nimmt heutzutage noch Heroin? Nur die, die’s wirklich nicht besser wissen. Die Kids sind auf Koks und Speed, vor allem Speed, weil’s wesentlich billiger ist. An jeder Straßenecke wird Amphetamin angeboten. Säckeweise. Und dann natürlich noch diese neumodischen Sachen wie Ecstasy.«
Markesch hob die Brauen. »Ecstasy? Nie gehört. Klingt wie eine Anstiftung zum Drogenmißbrauch.«
»MDMA«, sagte der Anwalt. »Ein Amphetamin-Derivat. Etwas für die schönsten Stunden zu zweit, sexuell stimulierend, wie man hört. Ziemlich neu auf dem Markt. Aber du weißt ja, wie die Kids sind. Immer auf der Suche nach dem Superstoff, der endlich hält, was all das andere Zeug nur versprochen hat.«
»Wie sieht es mit Morphin aus?« fragte Markesch. »Sind in der letzten Zeit nennenswerte Mengen davon auf dem Markt aufgetaucht?«
»Morphin?« Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte. Wieso fragst du? Hat jemand eine Apotheke ausgeräumt? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Morphinampullen aus der Apotheke bei den Kids auf große Begeisterung stoßen würden. Haschisch, Heroin, Morphin sind für die doch Opas Drogen. Wer was auf sich hält, schnupft Koks, und wem Koks zu teuer ist – und für die meisten ist es zu teuer – der greift zu Speed. Oder zu Ecstasy oder den anderen Designer-Drogen: PCP, DOB, DOM, MDA und was weiß ich. Den Designer-Drogen gehört die Zukunft, Markesch. Die jetzige Amphetamin-Welle ist nur ein Vorgeschmack. Die Sturmflut haben wir noch vor uns.«
Markesch verbarg seine Enttäuschung.
Seine Theorie, daß Michael Maaßen mit Morphin aus dem firmeneigenen Lager gehandelt hatte, war offenbar falsch. Aber vielleicht wußte Barny mehr; Barny hatte bessere Verbindungen zur harten Szene, zu den Junkies, als der Anwalt.
»Hast du Barny heute schon gesehen?« fragte er.
»Dafür ist es noch zu früh«, sagte der Anwalt. »Barny kommt nie vor zwei. Wahrscheinlich ist er jetzt noch im Eck oder im Südpol.«
Markesch leerte sein Glas und warf ein paar Münzen auf den Tresen.
»Du willst schon gehen?« brummte der Anwalt. »Bleib doch noch. Bei diesem Sauwetter würde ich nicht einmal meinen
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