Ueberdosis
Hund auf die Straße jagen, von meinen Gästen ganz zu schweigen.«
»Tut mir leid, aber mein U-Boot wartet.«
Markesch verließ das Lokal und trat hinaus in den Regen. Als er den Chlodwigplatz erreichte, war er so durchnäßt, als hätte er unterwegs ein Vollbad genommen. Das Südpol lag in einer Seitenstraße hinter dem Severinstor, unter das sich eine halbe Hundertschaft Nachtschwärmer geflüchtet hatten, um auf das Ende des Regens zu warten. Markesch hoffte für sie, daß sie alt genug wurden, um diesen Tag noch zu erleben; zumindest die unter Zwanzigjährigen hatten eine vage Chance. Inmitten der tropfenden Menge entdeckte er zu seiner Überraschung Sophie, in glänzendes Leder gekleidet, die brünetten Haare feucht und wirr, die Schlafzimmeraugen und der signalrote Schmollmund so verführerisch wie eh und je. Er wollte schon mit einem gewinnenden Lächeln auf sie zugehen und ihr seinen Schutz vor den Gespenstern der Südstadt anbieten, doch als sie ihn bemerkte, schlug sie rasch das Kreuzzeichen und tauchte in der Menge unter.
Frustriert setzte Markesch seinen Weg fort.
Das Südpol war hoffnungslos überfüllt und erinnerte an eine Arche Noah der Subkultur. In dem schwarzgetünchten Kellerlokal, das tief genug unter der Erde lag, um einen atomaren Direkttreffer zu überstehen, drängten sich Punks und Hippies, Apo-Opas und Teenies, Yuppies und Hard-Rocker, Alternative und Rastafaris, verkannte Künstler und stadtbekannte Alkoholiker. Und genug hübsche Mädchen, um jeden Eunuchen spontan von seinem Gebrechen zu heilen.
Die Luft war, von Zigarettenrauch und schätzungsweise hundert verschiedenen Parfümsorten geschwängert, verbraucht genug, um jeden Atemzug zu einer Überlebensfrage werden zu lassen. An den schwarzen Wänden formten fingerdicke Plastikröhren surreale Muster und leuchteten unter der Einwirkung der Schwarzlichtstrahler wie grellbunte, ins Riesenhafte vergrößerte Glühwürmchen. Ein Arsenal von knapp zwei Dutzend Lautsprecherboxen hatte den Ohren den Krieg erklärt, und weiter hinten, wo der schlauchartige Vorraum in den großen Tanzsaal mündete, flackerte eine Lichtorgel im stampfenden Rhythmus der Musik.
Markesch erkämpfte sich mit Ellbogen und falschem Lächeln einen Platz an der Theke. Drei junge Frauen – eine Blondine, eine Brünette und eine Schwarzhaarige – hantierten mit Zapfhähnen und Flaschen und lieferten sich einen Wettlauf mit dem Durst der Gäste. Es sah nicht so aus, als würden sie das Rennen gewinnen.
Markesch gestikulierte so lange, bis er die Aufmerksamkeit der Blondine erregte. Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln, griff automatisch nach der Scotchflasche und goß ihm einen doppelten Whisky ein. Markesch wurde warm ums Herz; er schätzte es, wenn man sich an seine Trinkgewohnheiten erinnerte. Es ersparte ihm überflüssige Worte.
Die Blondine brachte ihm den Scotch.
»Hi, Markesch, lange nicht mehr gesehen. Wo hast du gesteckt?« Sie strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Wir hielten dich schon für tot.«
Markeschs Lächeln gefror. »Manche Leute halten mich selbst dann noch für tot, wenn ich leibhaftig vor ihnen stehe«, knurrte er. »Und manche Leute wären glücklich, wenn ich tatsächlich sterben würde, Alice.«
»Ich bin nicht Alice«, sagte die Blondine. »Die Brünette ist Alice. Ich bin Nina. Ich dachte, du wüßtest das.«
»Ich wußte es auch«, nickte er, »aber in meinem Alter wird man vergeßlich. Hast du Barny gesehen?«
Nina beugte sich nach vorn, und ihre großen Brüste kamen Markesch beunruhigend nahe. »Barny? Was willst du denn von dieser Ratte? Ich dachte, du bist wegen mir gekommen.«
»Ich wünschte, ich wäre es.« Markesch warf einen entsagungsvollen Blick in den großzügigen V-Ausschnitt ihres T-Shirts. Er seufzte. »Ich wünschte wirklich, ich wäre es. Aber ich muß trotzdem mit Barny reden. Ist er da? Oder weißt du, wo ich ihn finden kann?«
»Er ist eben auf einen Sprung ins Eck. Aber da er im Eck keinen Kredit mehr bekommt, wird er bald wieder hier aufkreuzen.« Ihre rosa Zungenspitze blitzte zwischen dem Rot ihrer Lippen auf. »Du siehst nicht gut aus, Markesch. Du siehst sogar schauderhaft aus. Kann es sein, daß du zuviel trinkst?«
Markesch hob das Glas. »Es liegt am Alter«, sagte er, »nur am Alter, Nina.«
Der faszinierende V-Ausschnitt verschwand aus seinem Blickfeld, und Markesch wandte sich den Gästen zu. Der späten Stunde entsprechend, befanden sich die meisten in einem Zustand
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