Überfahrt mit Dame
Sie, es würde schrecklich werden?«
»Grauenvoll, grauenvoll!«
Der Ton, in dem sie diese Worte sprach, war eigenartig, aber ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn als ich mich in diesem Moment umdrehte, sah ich Jasper Nettlepoint auf uns zukommen. Er war noch amanderen Ende des weißen Decks, und als er näher kam, musterte ich ihn von Kopf bis Fuß. Ich weiß nicht, was mich zu diesem Anlass besonders empfänglich für den Eindruck machte, doch mir schien, als würde ich ihn, dank des intensiven Lichts auf See, so sehen, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte, von innen und außen, in seiner persönlichen seiner moralischen Ganzheit. Es war eine plötzliche lebhafte Offenbarung. Wenn sie auch nur einen Moment lang anhielt, hatte sie einen entwirrenden und klärenden Effekt. Er bot eigentlich eine angenehme Erscheinung, mit seinem gutaussehenden jungen Gesicht und seinem wahrlich makellosen persönlichen Auftreten, welches er besser als jeder andere an Bord des Schiffes zu zeigen verstand. Er war weit davon entfernt, wie jemand auszusehen, der alte Sachen abträgt, was an Bord allgemein üblich war, sondern kleidete sich ziemlich korrekt, wie ich einen anderen Passagier hatte sagen hören. Dies verlieh ihm das selbstsichere, beinahe triumphale Aussehen eines jungen Mannes, der sich aus jeder noch so peinlichen Situation herauszuwinden weiß. Ich erwartete, dass sich die Hand meiner Begleiterin von meinem Arm lösen würde, da es sie nun zu ihm ziehen musste, und war fast erstaunt, als sie mich nicht im Stich ließ. Wir blieben auf gleicher Höhe stehen, und Jasper wünschte uns freundlich einen guten Morgen. Schon war die Bemerkung, dass wir einen weiteren herrlichen Tag vor uns hatten, gefallen und führte ihn zu einer Äußerung imStile eines Mannes, dem es leichtfällt, Kritik zu üben: »Ja, aber denken Sie mal, was die anderen unter diesen Umständen leisten würden!«
»Die anderen Schiffe?«
»Wir wären mittlerweile schon da – oder spätestens morgen.«
»Nun, dann bin ich froh, dass es keines der anderen Schiffe ist« – ich lächelte der jungen Dame an meinem Arm zu. Meine Worte boten ihr, mehr noch ihm die Möglichkeit, etwas Freundliches zu erwidern, aber weder Jasper noch Grace Mavis nutzten die Gelegenheit. Stattdessen schauten sie, wie ich feststellte, einander einen Moment lang ziemlich starr in die Augen, bevor sie ihren Blick schweigend dem Meer zuwandte. Sie bewegte sich nicht und war vollkommen still, wodurch sie mir das Gefühl gab, plötzlich ganz und gar teilnahmslos geworden zu sein, als würde sie gewissermaßen jede Verantwortung zurückweisen. Wir blieben dort vor Jasper stehen, und die Berührung ihres Arms deutete mir weder an, ich solle sie freigeben, noch gab sie mir zu verstehen, dass wir lieber weitergehen sollten. Ich hatte nicht vor, sie aufzugeben, obgleich einer der Ausdrücke, die ich in Jaspers Gesicht zu lesen meinte, mir zart andeutete, dass sie ihm gehörte. Er sah mir kurz in die Augen, und es war, als würde er sagen: »Ich weiß, was Sie denken, aber es schert mich einen Dreck.« Ich war der festen Überzeugung, dass er grenzenlos egoistisch war: Das war der Kern meinerkleinen Offenbarung. Jugend ist fast immer egoistisch, wie sie fast immer auch eitel ist, und wenn sie mit Gesundheit und Talenten, gutem Aussehen und guter Laune einhergeht, darf sie das auch gern sein. Wenn es sich um echte Jugend handelt, ist Nachsicht geboten. Dennoch bleibt es eine Frage des Ausmaßes, und was an Jasper Nettlepoint hervorstach, war – natürlich nur, wenn man einen Blick dafür hatte –, dass mit seinem Egoismus eine Unnachgiebigkeit einherging und seine Eigenliebe Habsucht war. Diese Züge waren keck und erfolgreich und daran gewöhnt, sich durchzusetzen. Er liebte Frauen, er liebte sie sehr. Er brauchte sie – das lag in seiner Natur, aber Grace Mavis liebte er in keiner Weise. Unter den Gedanken, die mir spontan in den Sinn kamen, war das der treffendste. Nach einer Minute bekam die Art, wie wir so reglos dastanden, etwas Peinliches, obwohl diese Erkenntnis an ihm zweifellos völlig vorüberging. Jedenfalls fragte ich, um mein eigenes Unbehagen zu überspielen, wie es seiner Mutter gehe.
Seine Antwort kam unerwartet. »Sie sollten lieber nach unten gehen und nachsehen.«
»Nicht, ehe Miss Mavis meiner überdrüssig geworden ist.«
Daraufhin ließ sie nicht ein Wort vernehmen, und ich setzte mich mit ihr wieder in Bewegung. Sie schwieg einige Minuten, dann
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