Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
Vom Netzwerk:
Zusammenhanglos platzte sie heraus: »Sagten Sie nicht, Sie kennen Mr. Porterfield?«
    »Du liebe Güte, ja – ich habe damals mit ihm verkehrt. Ich wollte Ihnen oft davon erzählen.«
    Sie wandte mir ihr Gesicht zu, und im dunkler werdenden Abendlicht kam sie mir noch blasser vor. »Wozu wäre das denn gut?«
    »Nun, es wäre ein Vergnügen«, erwiderte ich ziemlich töricht.
    »Für Sie, meinen Sie?«
    »Nun ja – wenn man so will«, lächelte ich.
    »Haben Sie ihn gut gekannt?«
    Mein Lächeln wurde zu einem Lachen, und ich verlor ein wenig mein Selbstvertrauen. »Es ist nicht leicht, Ihnen Vorträge zu halten.«
    »Ich hasse Vorträge!« Die Worte kamen ihr mit einer Heftigkeit über die Lippen, die mich überraschte; sie klangen laut und hart. Aber noch bevor ich Zeit hatte, mich zu wundern, fuhr sie in einem etwas anderen Ton fort. »Werden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn sehen?«
    »Unbedingt, glaube ich.« Sie verhielt sich so eigenartig,dass ich irgendwie darauf eingehen musste, und ich hielt es für das Beste, dies scherzhaft zu tun. Also fragte ich: »Sie nicht?«
    »Oh, vielleicht deuten Sie auf ihn!« Sie ging hastig davon. Als ich ihr nachblickte, überkam mich die böse oder eher provozierende Eingebung, dass ich mich während der letzten Tage und besonders durch mein Gespräch mit Jasper Nettlepoint bis zu einem gewissen Grad zu ihrem Nachteil in ihre Situation eingemischt hatte. Es versetzte mir einen merkwürdigen Stich, sie so allein umherwandern zu sehen. Ich fühlte mich irgendwie dafür verantwortlich und fragte mich, warum ich meine Finger nicht hatte davon lassen können. Ich hatte Jasper mehr als einmal an jenem Tag im Raucherzimmer gesehen, als ich vorbeiging, und hatte ihn eben erst vor einer halben Stunde durch die offene Tür dort erspäht. Er war so oft mit ihr zusammen gewesen, dass sie nun ohne ihn wie eine Beraubte oder Verlassene wirkte. Das war zweifellos zu ihrem Besten, aber oberflächlich betrachtet – und ich gebe zu, dass dies höchst unlogisch war –, erregte es Mitleid. Mrs. Peck hätte mir zweifelsohne versichert, dass ihre Trennung ein Schwindel sei: dass sie sich zwar nicht zusammen an Deck und im Salon zeigten, sich aber anderswo schadlos hielten. Auf einem Schiff gibt es nicht viele Verstecke. Mrs. Pecks »anderswo« wäre eine vage Bezeichnung gewesen, und ich weiß nicht, welche Freiheiten sich ihre Vorstellungskraft herausnahm. Mankonnte deutlich erkennen, dass Jasper abtrünnig geworden war, aber das, was sich zwischen den beiden in dieser Hinsicht abgespielt hatte, war natürlich nicht so und durfte nicht so sein. Später bekam ich von seiner Mutter seine Version der Dinge zu hören, doch möchte ich anmerken, dass ich dieser keinerlei Glauben schenkte. Die arme Mrs. Nettlepoint andererseits musste natürlich jedes Wort davon für bare Münze nehmen. Nachdem das Mädchen mich zurückgelassen hatte, war ich fast so weit, an meinen jungen Mann heranzutreten und zu sagen: »Kehren Sie doch noch ein wenig zu ihr zurück, nur bis wir ankommen! Es wird keinen Unterschied machen, nachdem wir an Land gegangen sind.« Ich glaube nicht, dass mich die Sorge, er könne mich für einen Trottel halten, abhielt. Stattdessen sah ich, dass er das Raucherzimmer verlassen hatte, als ich das nächste Mal daran vorbeiging. An jenem Abend stattete ich Mrs. Nettlepoint meinen üblichen Besuch ab, aber ich plagte sie nicht weiter wegen Miss Mavis. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass nun alles klar und geregelt sei, und mir schien, dass ich ihr und sie sich selbst ausreichend Sorgen gemacht hatte. Ich verließ sie, damit sie den sich verstärkenden Vorgeschmack der Ankunft genießen konnte, der nun ihre Gedanken beherrschte. Bevor ich zu Bett ging, stieg ich nach oben und traf mehr Passagiere an Deck an als je zuvor zu so später Stunde. Jasper wanderte allein zwischen ihnen umher, doch ging ich ihm aus dem Weg.Die Küste Irlands war verschwunden, aber die Nacht und das Meer waren vollkommen. Als ich hinunterging, traf ich in einem der Korridore auf dem Weg zu meiner Kabine die Stewardess, und mir fiel plötzlich ein, sie zu fragen: »Wissen Sie zufällig, wo Miss Mavis ist?«
    »Nun, um diese Zeit ist sie für gewöhnlich in Ihrer Kabine, Sir.«
    »Meinen Sie, ich könnte sie sprechen?« Mir war in den Sinn gekommen, sie zu fragen, warum sie von mir wissen wollte, ob ich Mr. Porterfield wiedererkennen würde.
    »Nein, Sir«, sagte die Stewardess, »sie ist zu Bett

Weitere Kostenlose Bücher