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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame
Autoren: Henry James
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ihren Stuhl und ihre Schals arrangierte, dafür sorgte, dass sie vor Sonne und Wind geschützt war, und sich eine Stunde lang als regelrecht aufmerksam erwies. Währenddessen blieb Grace Mavis unsichtbar und zeigte sich auch den ganzen Nachmittag über nicht. Ich glaubte nicht, dass sie sich je zuvor so lange vom Deck ferngehalten hatte. Jasper verließ seine Mutter, kehrte aber immer wieder zurück, um zu sehen, wie sie zurechtkam, und als sie ihn fragte, wo Miss Mavis wohl sei, antwortete er, er habe nicht die geringste Ahnung. Auf ihre besondere Bitte setzte ich mich zu meiner Freundin: Sie sagte mir, wenn ich es nicht tun würde, kämen bestimmt Mrs. Peck und Mrs. Gotch, ihre Aufwartung zu machen, ich müsse ihr als Wachhund dienen. Ihre Wanderung hatte sie beunruhigt und erschöpft, und ich glaube, dass sie Grace Mavis’ Entscheidung, diesen Moment für ihren Rückzug zu nutzen, als Hinweis darauf deutete, dass man sie zum Narren gehalten hatte.Sie meinte, dass die Abwesenheit des Mädchens nur beweise, was für eine ungehobelte Person sie sei, während sie selbst sich als so gutmütig erweise, eigens herauszukommen. Ihr Schützling sei schlicht langweilig, damit hatte sich die Sache. Ich bemerkte, wie das Erscheinen meiner Gefährtin die kleinen grauen Zellen der anderen Damen aktivierte. Sie beobachteten sie von der anderen Seite des Decks, behielten sie im Auge, genauso wie der Steuermann den Kurs des Schiffes im Auge behielt. Mrs. Peck hatte offensichtlich Pläne, und diese Gefahr war es, von der sich Mrs. Nettlepoint abwandte.
    »Es ist genau so, wie wir gesagt haben«, bemerkte sie, als wir dort saßen. »Wie die Eimer im Brunnen. Wenn ich heraufkomme, gehen alle anderen runter.«
    »Nein, keineswegs alle – Jasper bleibt hier.«
    »Hier? Ich sehe ihn nicht.«
    »Er kommt und geht – das ist dasselbe.«
    »Er geht öfter, als er kommt. Aber n’en parlons plus , ich habe rein gar nichts erreicht. Ich bewundere das Meer überhaupt nicht – was ist es anderes als ein vergrößertes Wasserbecken? Ich werde nicht wieder heraufkommen.«
    »Mir scheint, sie wird ab jetzt in ihrer Kabine bleiben«, sagte ich. »Sie erzählte, sie habe eine für sich allein.« Mrs. Nettlepoint erwiderte, dass sie tun und lassen könne, was sie wolle, und ich gab ihr die kurze Unterhaltung wieder, die ich mit Jasper geführt hatte.
    Sie hörte aufmerksam zu, bis sie rief: »Sie heiraten? Dumeine Güte! Mir gefällt die hübsche Zwanglosigkeit, mit der sie meinen Sohn vermählen.«
    »Sie würden es nicht akzeptieren?«
    »Warum um Himmels willen sollte ich?«
    »Dann verstehe ich Ihre Haltung nicht.«
    »Herr im Himmel, ich habe keine! Es ist keine Haltung, der ganzen Angelegenheit überdrüssig zu sein.«
    »Sie würden es auch nicht akzeptieren in dem besonderen Fall, den ich ihm nahegelegt habe – dass sie glaubte, ermutigt worden zu sein, den armen Porterfield aufzugeben?«
    »Nicht einmal dann – nicht einmal dann. Wer weiß schon, was sie glaubt?«
    Das brachte mich zurück an den Anfang. »Dann tun Sie genau das, was ich vorhergesagt habe – Sie zeigen mir ein schönes Beispiel von mütterlicher Unmoral.«
    »Mütterlichem Mumpitz! Sie hat damit angefangen.«
    »Warum sind Sie denn dann heute heraufgekommen?«, fragte ich.
    »Damit Sie Ruhe geben.«
    Mrs. Nettlepoints Abendessen wurde an Deck serviert, ich jedoch ging in den Salon. Wie ich erwartet hatte, war Jasper da, nicht aber Grace Mavis. Ich versuchte aus ihm herauszukriegen, was mit ihr los war, ob sie vielleicht krank sei – er muss mich für unerhört hartnäckig gehalten haben –, und er antwortete, er wisse rein gar nichts über sie. Mrs. Peck sprach mit mir über Mrs. Nettlepoint– versuchte es zumindest – und ließ sich darüber aus, wie interessant es gewesen sei, sie zu sehen; schade nur, dass sie sich nicht als geselliger erweise. Darauf erwiderte ich, man möge sie ihrer Gesundheit wegen entschuldigen.
    »Sie wollen doch nicht behaupten, dass sie auf diesem Fischteich seekrank wird?«
    »Nein, sie fühlt sich auf andere Art unwohl.«
    »Ich glaube, ich kenne die Art!«, lachte Mrs. Peck. Und dann ergänzte sie: »Ich nehme an, sie kam herauf, um nach ihrem Schätzchen zu sehen.«
    »Ihrem Schätzchen?« Meine Miene erstarrte.
    »Na, Miss Mavis. Wir haben zur Genüge darüber gesprochen.«
    »Das stimmt, zur Genüge. Ich weiß nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Miss Mavis ist, soweit ich feststellen konnte, heute nicht an Deck
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