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Überfahrt mit Dame

Überfahrt mit Dame

Titel: Überfahrt mit Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Stewardess hatte es ihr gerade gesagt, und sie war hinausgestürzt, um zu mir zu kommen. Ich führte sie wieder hinein – sagte, ich würde Jasper holen. Ich suchte nach ihm, verpasste ihn aber, zweifellos auch deswegen, weil mir daran lag, zuerst den Kapitän zu sprechen. Ich fand ihn und merkte, dass er sehr schockiert war, doch machte er mir keine Hoffnung, dass wir uns irrten, und sein Unbehagen, das er mit seemännischer Kraft zum Ausdruck brachte, regelte die Frage ein für alle Mal. Von Deck aus, wo ich lediglich umherging und Ausschau hielt, sah ich das Licht eines weiteren Sommertages, unweit die grüne Küste Irlands und das Meer in einer schöneren Farbe als je zuvor. Als ich wieder hinunterkam, war Jasper zurückgekehrt. Er war in seineeigene Kabine gegangen, seine Mutter hatte sich zu ihm begeben. Dort blieb er, bis wir Liverpool erreichten – ich sah ihn nicht wieder. Auf seine Bitte hin ließ ihn seine Mutter nach einer Weile allein. Alle Welt ging an Deck, um das Land zu bestaunen und über unsere Tragödie zu plaudern, nur die arme Dame verbrachte den Tag trostlos in ihrem Zimmer. Dieser furchtbare Tag schien mir unerträglich lang. Ich dachte ständig an den schattenhaften, unvorstellbaren und doch unvermeidlichen Porterfield und daran, dass ich ihm am nächsten Tag gegenübertreten musste. Jetzt wusste ich natürlich, warum sie mich gefragt hatte, ob ich ihn wiedererkennen würde. Sie hatte mir im Geiste einen gewissen Freundschaftsdienst zugeteilt. Um Mrs. Peck und Mrs. Gotch machte ich einen großen Bogen – ich konnte nicht mit ihnen reden. Mit Mrs. Nettlepoint konnte ich es oder tat zumindest so, aber es gab zu viele Vorbehalte, als dass wir einander hätten Trost spenden können, da ich recht deutlich spürte, wie wenig Erleichterung es ihr verschaffte, wenn ich Jasper erwähnte. Ich musste stillschweigend akzeptieren, dass er mit dem, was geschehen war, nichts zu tun hatte, und ich konnte natürlich nie wirklich herausfinden, was er tatsächlich damit zu tun gehabt hatte. Das Geheimnis, das sich zwischen ihm und dem seltsamen Mädchen abgespielt hatte, das nach einer so kurzen Bekanntschaft seine Heiratspläne für ihn aufgegeben hätte, bleibt in seinem Herzen verborgen. Ich weiß, dass seine Mutter immerwieder an seine Tür klopfte, aber er wollte sie nicht einlassen. Um mein Mitgefühl zu zeigen, bat ich an jenem Abend den Steward, zu ihm zu gehen und ihn zu fragen, ob er mich empfangen würde, und der gute Mann kehrte mit einer Antwort zurück, die er freimütig überbrachte: »Keinesfalls!« – Jasper war offensichtlich fast so schockiert wie der Kapitän.
    In Liverpool, am Kai, als wir anlegten, kamen zwanzig Personen an Bord, und ich hatte Mr. Porterfield schon von weitem erkannt. Er blickte an der Bordwand des großen Schiffes hinauf, wobei ihm – so nahm es sich für meine müden Augen aus – die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand, die Enttäuschung, die Frau, auf die er so lang gewartet hatte, nicht über das Schanzkleid lehnen und ihm mit ihrem Taschentuch zuwinken zu sehen. Jeder sah ihn an, jeder, nur sie nicht – es hatte sich im Nu herumgesprochen, wer er war –, und ich fragte mich, ob ihm das nicht auffiel. Früher war er hager und knochig gewesen, doch nun war er beinahe dick und leicht gebeugt. Der Abstand zwischen uns verringerte sich – er ging über den Laufsteg und dann an Deck, zusammen mit den drängelnden Beamten der Zollbehörde, zu schnell für mich, um gelassen zu bleiben. Doch trat ich sofort auf ihn zu, um ihn vor einer Bloßstellung zu bewahren – bekam ihn zu fassen und zog ihn fort, obwohl ich mir sicher war, dass er sich nicht erinnern konnte, mich je zuvor gesehen zu haben. Erst später dachte ich, dass diese Schwerfälligkeittypisch für ihn war. Ich zog ihn weit fort – ich war mir bewusst, dass Mrs. Peck und Mrs. Gotch uns nachblickten, als wir an ihnen vorbeigingen – in das leere, stickige Raucherzimmer. Er sagte kein Wort, und auch das kam mir typisch für ihn vor. Ich musste als Erster sprechen, und er machte es mir nicht einmal leichter durch die Frage: »Ist etwas passiert?« Ich brach das Schweigen, indem ich matt erklärte, dass sie krank sei. Es war ein entsetzlicher Augenblick.

Anhang

Anthony Trollope, 1875

Anthony Trollope
    Die Reise nach Panama
    Vermutlich unterscheidet sich keine Sphäre, die Männer und Frauen unserer Zeit vorübergehend betreten, so sehr von ihrem gewöhnlichen Alltag wie jene, die man auf den

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