Überfahrt mit Dame
großen Ozeandampfern vorfindet. Vereinzelt werden Freundschaften geschlossen und Feindschaften erduldet. Die Tatkräftigen ersinnen bestimmte Grundsätze kurzlebiger Diplomatie, und Intrigen, die meist zu harmlosen Ergebnissen führen, werden von jenen mit äußerstem Scharfsinn gesponnen, die ohne Aufregung nicht leben können, während die Faulen und Trägen in Bedeutungslosigkeit und allgemeiner Verachtung versinken – was an Bord eines Schiffes ebenso wie andernorts ihr Schicksal darstellt. Doch die Freuden und Aktivitäten eines solchen Lebens zeigen sich nicht vor dem dritten oder vierten Tag der Reise. Die Männer und Frauen betrachten einander zunächst mit Misstrauen und unverhohlener Abneigung. Sie ahnen nichts von den starken Gefühlen, die aufkommen werden, und erwarten zehn, fünfzehn oder zwanzig Tage des Trübsinns oder der Seekrankheit. Die Seekrankheit vergeht im Allgemeinen am zweiten Tag und derTrübsinn ungefähr zur Mittagszeit des vierten. Dann beginnen die Männer zu denken, die Frauen seien doch nicht so hässlich, vulgär und geistlos, und die Frauen geben sich nicht mehr so einsilbig, wagen sich zunehmend aus ihren Schlupfwinkeln hervor, in die sie sich anfangs zurückgezogen hatten, und werden umgänglicher, vielleicht sogar mehr, als sie es an Land gewesen waren. Und zwischen den Männern entstehen Bündnisse. Wenn sie diese neue Welt erstmals betreten, betrachten sie einander mit unverkennbarem Abscheu, und jeder hält seinen Nächsten für einen gemeinen Kerl oder sogar für etwas Schlimmeres, doch am vierten Tag, wenn nicht schon früher, hat jeder Mann seine zwei oder drei Verbündete, mit denen er plaudert und raucht und die er in jene eigenartigen diplomatischen Beziehungen und vielleicht Intrigen seiner eigenen Reise einweiht. Die Freundschaften der Frauen entwickeln sich langsamer, denn Frauen sind wohl misstrauischer als Männer, wenn sie aber erst einmal entstanden sind, sind sie beständiger und zeigen sich zuweilen in Gesten weiblicher Zuneigung.
Die bemerkenswertesten Bündnisse sind jedoch jene zwischen Damen und Herren. Dies gilt ebenso an Bord eines Schiffes wie an Land, und von solch einer Beziehung soll auch diese Geschichte erzählen. Solche Freundschaften sind, obwohl sie sehr eng sein können, selten von langer Dauer. Auch wenn sie voll süßer Romantik sein können – denn Menschen werden unter den unbequemenBedingungen einer Seereise sehr romantisch –, erweisen sich diese Romanzen meist als kurzlebig und trügerisch, gelegentlich sogar als gefährlich.
Auf der Welt existieren mehrere große Schiffsverbindungen, und wie man im Allgemeinen annimmt, scheint England den Mittelpunkt zu bilden. Da gibt es die Great Eastern Line, die von Southampton über den Golf von Biskaya ins Mittelmeer führt. Sie überquert die Landenge von Suez, zweigt ab nach Australien, Indien, Ceylon und China. Dann gibt es die große American Line, die regelmäßig wie ein Uhrwerk über den Atlantik nach New York und Boston führt. Diese Reise ist schon so alltäglich geworden, dass die Überfahrt kaum noch etwas Romantisches hat. Es gibt ein oder zwei weitere nordamerikanische Linien, gegen die man vielleicht denselben Einwand erheben kann. Dann gibt es die Postschiffslinie zur afrikanischen Küste – sehr romantisch, wie ich gehört habe – und die große West-Indian-Route, mit der unsere kleine Geschichte zusammenhängt, groß nicht wegen unserer armen Westindischen Inseln, die gegenwärtig nichts Großartiges hervorbringen können, sondern weil sie von dort weiter nach Mexiko und Kuba, nach Guyana und den Republiken von Granada und Venezuela, nach Mittelamerika, dem Isthmus von Panama und von dort nach Kalifornien, Vancouver’s Island, Peru und Chili führt.
Man kann sich vorstellen, dass die Scharen, die dieKüsten Großbritanniens auf dieser Route verlassen, aus aller Herren Länder stammen. Man trifft Franzosen auf dem Weg zu den französischen Zuckerinseln, grundsätzlich nicht sonderlich romantisch; man trifft alte Spanier, europäische Spanier, die versuchen, ihr Vermögen zwischen den Ruinen ihres einstigen Weltreichs zu erneuern, und neue Spanier, also Spanier aus den amerikanischen Republiken, die zwar Spanisch sprechen, deren Manieren und Gesichtszüge sich allerdings von den Dons unterscheiden – Männer und Frauen, die vielleicht eine Spur indianischen Blutes aufweisen, ständig den Dollars nachjagen und wenig mit den schönen Dingen des Lebens anzufangen wissen. Man
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