Überfall nach Ladenschluß
ungläubig.
„Also,
morgen um neun fange ich an.“
Es war spät
geworden. Tom brachte seine Freundin nach Hause. Das war im Süden der Stadt, in
einem netten Viertel, wo es alte Häuser und kleine Gärten gab, Kellerlokale und
Cafés mit Stammgästen und besonderer Note. Hauptsächlich Künstler wohnten hier,
zum Teil auch Studenten.
Das
Einfamilienhaus der Rehms lag in einer Seitenstraße. Der Vorgarten war nur ein
Handtuch. Aber hinter dem Haus gab’s einen Garten, in dem es sich leben ließ:
mit fünf Obstbäumen, einem Rasen und begrenzenden Hecken.
Die Garage
stand offen. Gunters Saab glänzte mit Abwesenheit, man war noch beim Griechen.
Daß Mikes Motorrad auf seinem Platz stand, konnte nur bedeuten: Lockes Bruder
mußte sich ernstlich verletzt haben — bei seinem letzten Fußballspiel, das der
FC Eintracht, dem sich Mike als Libero andiente, mit 1:2 verloren hatte. Mike
kickte mit Leidenschaft, übertrieb’s aber mit dem Einsatz, weshalb er nie
Mangel hatte an Prellungen, Stauchungen, Schürfungen und Zerrungen. Wer ihn nur
flüchtig kannte, hielt ihn möglicherweise für gehbehindert. Denn meistens
humpelte er.
„Hm“,
machte Locke, als sie vor dem Tor hielten. „Morgen bist du also Tankwart.“
„Komm doch
vorbei. Ich fülle deinem Hirschkalb seinen Viertelliter ein und berechne einen
Preis wie vor der Ölkrise — als der Treibstoff noch erschwinglich war.“
„Vielleicht.
Das heißt, nein. Lieber wäre mir, du holst mich von Kathie ab. Hast du’s
mitgekriegt — vorhin? Sie hat morgen ihren freien Tag. Ich soll sie besuchen,
weil sie mir ihren Wilhelm Hartmann vorstellen will. Den tollen Typ, der gut
aussieht, immer Geld hat und tierisch nett ist.“
„Das sind
Maßstäbe“, seufzte Tom.
„Ihr Will
weiß nicht, daß ich komme. Vielleicht ist er sauer, weil er mit ihr allein sein
möchte.“
„Verständlich.“
„Deshalb
kannst du mich abholen, ja? So gegen fünf. Ich fahre erst spätnachmittags zu
ihr raus. Bleibe zehn Minuten, um den tollen Typ zu beglotzen. Dann kommst du,
hast auch deine Freude an seinem Anblick, und wir zittern ab voller Rücksicht,
wie sich das gehört.“
„Du fährst
mit der S-Bahn?“
„Ist
bequemer“, nickte sie.
„Ich komme
mit meinem Hirsch.“
Er schob
ihren Motorroller in die Garage. Vor der Haustür legte er die Arme um ihre
schmale Gestalt. Als er sie zart auf die Lippen küßte, mußte Locke ihren Hut
festhalten. Er spendete Schatten, aber ansonsten war er häufig im Wege. Doch
Toms Vorschlag, sich für Stirnbänder zu entscheiden, ging ihr nicht unter die
Haut.
„Gute
Nacht, Tom!“ Ihr Finger tupfte auf seine Nase.
Bevor sie
die Haustür schloß, winkte sie ihm zu, während er wie hypnotisiert auf der
Treppe verharrte.
*
Locke
lächelte noch, während sie den Schlüssel abzog und über die Schiefertafel
wischte, die hinter der Eingangstür hing.
Auf diesem
Rehm’schen ,Mitteilungsorgan’ stand eine väterliche Meldung von gestern. Sie
war längst überholt und wurde jetzt von Locke gelöscht.
„Bist
du’s?“ rief Mike aus der Küche.
„Du? Wer
ist du? Meinst du mich, unseren Ernährer oder eine deiner Freundinnen — falls
du ihr leichtsinnigerweise den Schlüssel gegeben hast?“
„Ich meine
dich“, antwortete Mike mit vollem Mund. Sie hörte, wie er kaute. „Im übrigen:
Das Wort Leichtsinn ist im Zusammenhang mit meinen Freundinnen unangebracht.
Sie sind alle vertrauenswürdig.“
„Klar. Der
einzige, dem man nicht über den Weg trauen sollte, bist du. Mit Leichtsinn
meine ich: Wie peinlich wäre es, wenn Stefanie oder Sabrina oder Nicole hier
hockt und Kathrin oder Julia oder Christine plötzlich aufkreuzt.“
„Ich kenne
keine Julia. Jedenfalls nicht näher.“
Locke hatte
ihren Hut an die Garderobe gehängt und trat in die Küche.
Mike stand
an der Anrichte und verteilte mit dem Daumen Leberwurst auf eine Scheibe Brot.
Ein angebissenes Brot lag daneben.
„Nennst du
das Eßkultur?“ fauchte Locke. „Haben wir kein Messer im Haus?“
„Doch.
Schon. Aber die Wurst ist so kalt. Läßt sich besser drücken als schmieren.“ Er
grinste und legte allen Charme (Zauber) in die Mundwinkel. „Nun? Hat
sich diese Gina eingefunden? Oder ist sie nach Italien getrampt?“
„Sie wurde
überfallen. Hätten wir sie nicht in letzter Minute gerettet, sähe ihr Gesicht
jetzt so scheußlich aus wie deine Leberwurst — obwohl du nicht mal ein Messer
nimmst, geschweige ein Rasiermesser.“
„Was?“
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