Überfall nach Ladenschluß
versunken, was aber niemand
merken sollte.
So leerte
sich der Zug, auch Lockes Waggon.
Sie sah in
die Landschaft, die grüner wurde, je weiter man sich aus dem Dunstkreis der
Stadt entfernte. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit den Aianos, den Maranos,
der Mafia, dem Roten. Tom spielte also heute den Tankwart. Ob der Rote wirklich
kam? Oder arbeitete’ der samstags nicht?
Unter-Plösel.
Ein Bauer
mit gewaltigem Bauch kletterte schwitzend auf den Bahnsteig hinunter. Er hatte
seinen Rucksack geschultert und wurde von zwei Kindern begleitet.
Der Zug
ruckte an. Der Schaffner war bereits dagewesen. Locke gähnte laut und
ungeniert, als wollte eine Löwin ihren Mittagsschlaf einleiten.
Sie war
jetzt allein, völlig allein, hatte den Waggon für sich und...
Nanu?
Hinter ihr
knisterte Papier.
Sie wandte
sich um.
Du liebe
Güte! Da war ja noch wer. Ein Mann. Er saß ganz hinten in der Ecke. Daß es ein
Mann war, sah sie nur an den Hosenbeinen, Schuhen und Händen, denn er hatte die
Samstag-Ausgabe vom TAGBLATT aufgeklappt und sich dahinter versteckt.
Damenhaft
war das ja nicht, mein Gegähne! dachte sie und wandte sich ab.
Die S-Bahn
flitzte durch Laubwald, fast so schnell wie gestern. Draußen senkten sich
Grauschleier über die Landschaft. Der Himmel sah aus wie Blei. Schwüle kündigte
Gewitter und Wolkenbruch an. Am Horizont stieg eine schwarze Wand empor, als
hätte sich die Nacht verfrüht.
Da werde
ich naß, bis ich bei Kathie bin, dachte sie. Tom wird fluchen, wenn er nachher
kommt. Nachher? Ist ja gleich halb fünf. Aber vielleicht ist dann das Gewitter
vorbei.
Die S-Bahn
wurde langsamer.
Erste
Spritzer rannen an der Scheibe herab.
Und ich
habe keinen Schirm! Mein armer Hut! Mit dem Strohhut im Regen — das passiert
auch nur mir.
Sie stand
auf und trat zur Tür. Während sie sich festhielt, blickte sie zu dem
Zeitungsleser hin.
Da sie
jetzt stand, sah sie seine Haare und einen Streifen von der Stirn.
In diesem
Moment ließ der Mann die Zeitung sinken. Stirnrunzeln zeigte, daß er mit
irgendeinem Artikel nicht einverstanden war. Sorgfältig faltete er das Blatt.
Dann hob er den Kopf.
Ihre Blicke
begegneten sich.
Locke war
erstarrt, aus ihrem Gesicht alles Blut gewichen.
Sie
erkannte ihn — erkannte ihn sofort und sah, daß auch er sie erkannte.
Es war der
Rote.
6. Todesangst und Wolkenbruch
Der Overall
war etwas eng. Wenn Tom die Schultern reckte, knackten die Nähte. Aber das
Tankstellen-Blau stand ihm gut, und den Benzingeruch ertrug er — auch jetzt
noch, nach Stunden der Arbeit.
Tom
schuftete. Hunderte hatten getankt. Ungezählte Fliegenleichen hatte er von
Windschutzscheiben geschabt. Er kannte nun jeden gängigen Motor und hätte den
Ölstab mit verbundenen Augen gefunden.
Ein Porsche
hielt vor Zapfsäule eins.
Die
Fahrerin war nicht mehr ganz jung, aber dämonisch bemalt.
„Super,
voll, junger Mann!“
Tom fügte
seinem Nicken ein Lächeln bei. Er hatte herausgefunden, was die Großzügigkeit
fördert. In beiden Hosentaschen klimperte Trinkgeld. Damit hätte er ein
Sparschwein zum Platzen gebracht.
Er füllte
den Tank, prüfte den Ölstand und versorgte die Reifen mit Luft, während die
Dame zur Toilette ging. Als sie zurückkam, hatte er die Füllmenge notiert. Mit
dem Zettel ging sie ins Kassenbüro, wo Carlo Marano kassierte. Aber er machte
nicht nur das. Wenn der Andrang groß war, half er hier draußen.
Tom erhielt
eine Mark.
„Besten
Dank und gute Fahrt!“
Er öffnete
ihr sogar den Schlag und ließ sie einsteigen. In ihrem Aschenbecher lagen
mindestens 20 Zigarettenreste.
Kein
Wunder, daß sie so tief in den Farbtopf greift, dachte er. Wenn eine Frau wie
ein Schlot qualmt, ist der Teint (Gesichtshaut) schnell im Eimer. Ohne
Schminke ist das ‘ne Leiche auf Urlaub.
Der Porsche
röhrte zur Straße. Tom harkte mit den Fingern durch seine widerspenstigen
Locken. Im Moment herrschte Ruhe. Er ging zu Marano hinein.
„Du machst
das großartig, Tom“, freute sich der Italiener. „Ich wünschte, du bliebst
hier.“
„Morgen
komme ich wieder. Aber ab Montag ist Schule. Was mir an Freizeit bleibt, gehört
Locke.“
„Ihr seid
viel zusammen?“
„Sehr viel.
Unsere Eltern auch. Das heißt, ich habe nur meine Mutter, Locke hat nur ihren
Vater. Die beiden werden heiraten.“ Er lachte. „Dann ist Locke meine
Stiefschwester. Aber blutsverwandt sind wir nicht. Gott sei Dank, nicht!“
Marano
lächelte wissend. „Ihr seid ein entzückendes Paar. Ich wünschte,
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