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Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht

Titel: Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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sei, jemanden mit meiner
Vorgeschichte
einzustellen. Er beglückwünsche mich zu meinem Erfolg, doch ich müsse verstehen, dass er mir unmöglich eine Stelle anbieten
     könne. Aber er freue sich natürlich sehr, mich kennengelernt zu haben, und so weiter.«
    |111| Wenn man sich das Interview heute ansieht, wird deutlich, dass der Historiker, der es führte, nicht so recht wusste, was er
     mit dieser Geschichte anfangen sollte. Zum Zeitpunkt des Gesprächs stand Bickel auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Er hatte
     Prozesse vor dem Obersten Gerichtshof geführt und wegweisende Bücher veröffentlicht. Wenn Mudge Rose ihm wegen seiner »Vorgeschichte«
     eine Anstellung verweigerte, dann war das so, als hätten die Chicago Bulls den Basketballstar Michael Jordan abgelehnt, weil
     sie keine schwarzen Jungen aus North Carolina in ihrem Team haben wollten. Es schien vollkommen absurd.
    »Aber die Stars?«, fragte der Journalist und meinte damit: Wollten die nicht einmal für
Sie
eine Ausnahme machen?
    Bickel: »Ach was, Stars …«
    In den Vierziger- und Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts erinnerten die alteingesessenen New Yorker Kanzleien ein wenig
     an exklusive Herrenclubs. Sie hatten ihre Büros an der Südspitze von Manhattan, in der Wall Street oder der unmittelbaren
     Nachbarschaft, in nüchternen, mit Granitfassaden verkleideten Gebäuden. Die Partner waren Absolventen derselben Eliteuniversitäten,
     sie besuchten den Gottesdienst in denselben Kirchen, verbrachten die Sommerferien in denselben Strandbadeorten auf Long Island
     und trugen dieselben konservativ grauen Anzüge. Ihre Firmen waren als »Weiß-Schuh-Kanzleien« bekannt – ein Hinweis auf die
     weißen Dandyschühchen, wie sie in Country-Clubs und auf Cocktailpartys bevorzugt getragen wurden –, und sie hatten sehr genaue
     Vorstellungen davon, wen sie einstellten und wen nicht. In seinem Buch
The Wall Street Lawyer
über die alteingesessenen New Yorker Kanzleien beschreibt Erwin Smigel das Profil eines Kandidaten:
    Anwälte von »nordischem« Aussehen, angenehmem Umgang und gepflegtem Äußeren, die auf der »richtigen« Universität studiert
     hatten, den »richtigen« gesellschaftlichen Hintergrund mitbrachten, die »richtige« Lebenserfahrung hatten und mit einer großen
     Ausdauer ausgestattet waren. |112| Ein ehemaliger Dekan einer juristischen Fakultät bietet eine etwas realistischere Beschreibung: »Um eine Stelle zu bekommen,
     benötigen Absolventen ausgezeichnete familiäre Verbindungen, ausgezeichnete Kenntnisse, eine ausgezeichnete Persönlichkeit
     oder eine Kombination aus diesen drei Eigenschaften. Die sogenannte »Annehmbarkeit« setzt sich aus den genannten drei Einzelfaktoren
     zusammen. Verfügt ein Mann über eine dieser Eigenschaften, kann er eine Anstellung bekommen. Verfügt er über zwei, kann er
     zwischen mehreren Anstellungen auswählen. Und verfügt er über alle drei, stehen ihm sämtliche Türen offen.«
    Bickel war weder blond noch blauäugig. Er sprach mit einem breiten Akzent, und seine familiären Verbindungen bestanden in
     erster Linie aus Solomon und Yetta Bickel aus Bukarest, die seit einigen Jahren in Brooklyn lebten. Floms Referenzen waren
     kaum besser. Wenn er berichtet, er habe sich bei seinen Vorstellungsgesprächen in Manhattan »sehr unwohl« gefühlt, dann ist
     das nur zu verständlich: Er war klein, dick, Jude und sprach mit dem näselnden Dialekt seines Heimatstadtteils Brooklyn. Sie
     können sich vorstellen, wie er auf einen silberhaarigen Patriarchen in seiner Bibliothek gewirkt haben muss. Wer nicht den
     richtigen gesellschaftlichen Hintergrund und die richtige Religionszugehörigkeit mitbrachte, fing damals nach dem Studienabschluss
     in einer kleinen, zweitklassigen Kanzlei von Emporkömmlingen an, die eine Stufe unter den großen Namen von Südmanhattan rangierte,
     oder er gründete einfach selbst eine Firma und nahm alles an, »was gerade zur Tür hereinkam« – also alles, womit sich die
     großen Kanzleien nicht abgeben wollten. Das klingt furchtbar ungerecht, und das war es auch. Aber wie so oft im Falle der
     Überflieger sollte sich gerade dieser Nachteil als große Chance erweisen.
    4.
    Die alteingesessenen Kanzleien hatten sehr genaue Vorstellungen davon, welche Fälle sie übernahmen und welche nicht. Sie waren |113| Unternehmensanwälte und repräsentierten die größten und angesehensten Konzerne des Landes, das heißt, sie erledigten deren
     Steuern, übernahmen bei der

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