Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
Gegenteil, es klingt eher so, als fühlte er sich ein wenig in der
Defensive. Seit Jahren arbeitet er nun schon an einem hochkomplexen Projekt, doch kaum etwas von seinen Arbeiten wurde je
veröffentlicht, geschweige denn von Physikern, Philosophen und Mathematikern, die ihren Wert beurteilen könnten, zur Kenntnis
genommen. Dieser Mann hat ein einzigartiges Gehirn, doch bis heute hat er nicht die geringste Spur in der Welt hinterlassen.
Er hält keine Vorträge auf wissenschaftlichen Kongressen. Er leitet kein Doktorandenprogramm an einer renommierten Universität.
Er lebt auf einem vernachlässigt wirkenden Bauernhaus im Norden von Missouri und sitzt in Jeans und ärmellosem T-Shirt auf
seiner Veranda. Er weiß, wie er auf andere wirkt: Das ist vielleicht noch die größte Ironie seines Genies.
»Ich habe die großen Verlage nicht so nachdrücklich verfolgt, wie ich es vielleicht hätte tun sollen«, räumt er ein. »Von
Tür zu Tür gehen, Verleger fragen, Agenten suchen, das alles. Ich habe es nicht gemacht, und ich habe auch kein Interesse
daran.«
Es ist das Eingeständnis einer Niederlage. Jede Erfahrung, die |104| er in der wirklichen Welt außerhalb seines Kopfes gemacht hatte, ist frustrierend verlaufen. Er weiß, dass er seinen Umgang
mit der Welt verbessern muss, aber er weiß nicht wie. Er war doch noch nicht einmal in der Lage gewesen, mit seinem Mathematikprofessor
zu sprechen. Das sind Dinge, die andere Menschen mit einem weitaus geringeren Intelligenzquotienten spielend meistern. Doch
das liegt daran, dass diese anderen Hilfestellungen bekommen haben, und Chris Langan nicht. Das ist keine Entschuldigung,
sondern eine Tatsache. Er musste seinen Weg allein gehen, und niemand – kein Musikstar, kein Profisportler, kein Softwaremilliardär
und nicht einmal ein Genie – schafft es allein.
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Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass der Intelligenzquotient zu 50 Prozent erblich ist.
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|105| Kapitel 5
Die drei Lektionen des Joe Flom
»Wir haben Mary einen Vierteldollar gegeben.«
1.
Joe Flom ist der letzte noch lebende Partner im Namen von Skadden, Arps, Slate, Meagher and Flom. Flom hat ein Eckbüro hoch
oben im Condé-Nast-Hochhaus in Manhattan. Er ist klein und geht leicht gebückt. Sein großer Kopf wird von zwei riesigen Ohren
eingerahmt, und seine schmalen, blauen Augen verbergen sich hinter einer überdimensionierten Brille. Heute ist er schlank,
doch zu seinen besten Zeiten war er extrem übergewichtig. Flom watschelt beim Gehen, kritzelt beim Denken und nuschelt beim
Sprechen, und wenn er die Flure von Skadden, Arps entlanggeht, verstummen die Gespräche.
Flom wuchs während der Weltwirtschaftskrise im Viertel Boroughs Park im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Seine Eltern waren
jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Sein Vater Isadore war Funktionär der Textilarbeitergewerkschaft und nähte später Schulterpolster
für Damenkleider. Seine Mutter stickte zu Hause Applikationen auf Kleider. Sie waren bitterarm. Während Floms Kindheit zog
seine Familie einmal im Jahr um, da Vermieter ihren Mietern damals im ersten Jahr einen Monat Miete nachließen, und nur so
kamen sie überhaupt über die Runden.
Nach der achten Klasse bewarb sich Flom um einen Platz an der staatlichen Eliteschule Townsend Harris School an der Lexington
Avenue in Manhattan, die in den gerade einmal 40 Jahren |106| ihres Bestehens drei Nobelpreisträger, sechs Pulitzerpreisträger und einen Verfassungsrichter hervorgebracht hatte, ganz zu
schweigen von George Gershwin und Jonas Salk, dem Erfinder der Schluckimpfung. Er wurde angenommen. Seine Mutter drückte ihm
jeden Morgen zehn Cent in die Hand, damit er sich unterwegs bei Nedick’s sein Frühstück kaufen konnte – drei Donuts, ein Glas
Orangensaft und einen Kaffee. Nach Schulschluss schob er einen Handkarren durch das Textilviertel. Nach dem Erwerb der Hochschulreife
belegte er zwei Jahre lang Abendkurse am City College in Manhattan (tagsüber arbeitete er), meldete sich zur Armee, leistete
seinen Wehrdienst ab und bewarb sich an der Harvard University um einen Studienplatz im Fach Jura.
»Seit ich sechs Jahre alt war, wusste ich, dass ich Jura studieren wollte«, erzählt Flom. Er hatte zwar sein Studium am City
College nicht abgeschlossen, doch Harvard nahm ihn trotzdem. »Warum? Ich habe ihnen einen Brief geschrieben und ihnen erklärt,
warum ich das Beste seit
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