Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht
war.
Heute hat Mort Janklow ein Büro hoch über der Park Avenue. In den Räumen hängen Werke von modernen Künstlern wie Jean Dubuffet
und Anselm Kiefer. Er kann köstliche Geschichten erzählen. »Ich bin immer Risiken eingegangen«, erzählt er. »Als ich mit der
Kabelgesellschaft angefangen habe, habe ich Geschäfte gemacht, die mich in den Bankrott gestürzt hätten, wenn sie |125| schiefgegangen wären. Aber ich hatte immer die Zuversicht, dass ich es schon irgendwie hinbekomme.«
Mort Janklow besuchte die staatlichen New Yorker Schulen, als diese auf ihrem Zenit standen. Maurice Janklow besuchte dieselben
Schulen, als sie überfüllt waren. Mort Janklow studierte an der Columbia University, da die Kinder aus der demografischen
Delle sich ihre Universitäten aussuchen konnten. Maurice Janklow studierte in Brooklyn, weil es im Jahr 1919 für den Sohn
einer Einwandererfamilie keine andere Möglichkeit gab. Mort Janklow verkaufte seine Kabelgesellschaft für zig Millionen Dollar.
Maurice Janklow kassierte für Kaufverträge eine Gebühr von 25 Dollar. Aus der Geschichte der Janklows können wir lernen, dass
der kometenhafte Aufstieg des Joe Flom nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt möglich gewesen wäre. Selbst die begabtesten Anwälte
mit dem besten Familienhintergrund können den Problemen ihrer Generation nicht entgehen.
»Meine Mutter war bis fünf oder sechs Monate vor ihrem Tod geistig noch hellwach«, erinnert sich Mort Janklow. »Dann ist sie
in ein Delirium gefallen und hat über Dinge gesprochen, die sie nie erwähnt hatte. Sie hat über Freunde geweint, die 1918
an der Grippe gestorben sind. Diese Generation, die Generation meiner Eltern, hat eine Menge durchgemacht. Sie haben diese
Epidemie überlebt, die vielleicht 10 Prozent der Weltbevölkerung das Leben gekostet hat. Panik auf der Straße. Freunde sterben.
Der Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg. Sie hatten kaum Möglichkeiten. Es waren schwere Zeiten.
In einer anderen Welt hätte mein Vater mehr Erfolg gehabt.«
Lektion 3: Die Textilindustrie und sinnvolle Arbeit
8.
Im Jahr 1889 bestiegen Louis und Regina Borgenicht in Hamburg einen Dampfer nach Amerika. Louis kam aus Galizien im damals |126| von Russland besetzten Polen, Regina aus einem Dorf in Ungarn. Die beiden hatten wenige Jahre zuvor geheiratet, hatten ein
kleines Kind, und Regina war zum zweiten Mal schwanger. Während der dreizehntägigen Überfahrt schliefen sie auf Strohmatratzen
über dem Maschinenraum und klammerten sich an das hölzerne Bettgestell, während das Schiff durch die Wellen schlingerte. In
New York kannten sie einen einzigen Menschen: Louis Borgenichts Schwester Sallie, die zehn Jahre zuvor ausgewandert war. Mit
dem Geld, das sie mitbrachten, würden sie bestenfalls einige Wochen über die Runden kommen. Wie so viele Einwanderer in diesen
Jahren waren sie einfach auf gut Glück gesprungen.
Louis und Regina fanden eine kleine Wohnung an der Eldridge Street im Manhattaner Stadtteil Lower East Side. Die Miete betrug
acht Dollar pro Monat. Louis ging auf die Straße und suchte nach Arbeit. Er sah Krämer und Obstverkäufer, die Gehsteige waren
mit Schubkarren verstopft. Der Lärm, das Treiben, die Energie stellten alles in den Schatten, was er aus der Alten Welt kannte.
Zuerst fühlte er sich eingeschüchtert, dann angespornt. Er besuchte seine Schwester in ihrem Fischgeschäft in der Ludlow Street
und überredete sie, ihm auf Kredit eine Lieferung Heringe zu überlassen. Er stellte seine zwei Fässer Fisch auf dem Gehsteig
auf, sprang zwischen ihnen auf und ab und rief auf Deutsch:
Zum Braten,
zum Backen,
zum Kochen,
auch zum Essen,
Hering zu jeder Mahlzeit,
Hering für alle Klassen!
Nach einer Woche hatte er acht Dollar verdient. In der zweiten Woche kam er auf dreizehn Dollar. Das waren beachtliche Summen.
Doch Louis und Regina waren nicht überzeugt, ob ihre Zukunft tatsächlich im Straßenverkauf von Heringen lag. Also versuchte
Louis sein Glück als fliegender Händler mit Schubkarre. |127| Zuerst verkaufte er Handtücher und Tischdecken, allerdings ohne allzu großen Erfolg. Also sattelte er auf Schreibwaren um,
dann auf Bananen und schließlich auf Socken. Aber war der Straßenverkauf wirklich zukunftsträchtig? Als das zweite Kind zur
Welt kam, wurde es ernst. Nun hatte Louis vier Münder zu füttern.
Nachdem er fünf Tage lang die Straßen der Lower East Side auf- und
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