Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
entgegenzusehen.
Ich aber lachte, freute mich, bot das Bild einer Glücklichen, die endlich ein Ziel vor sich sah. Der Start lag lange zurück. Als ich in Bonn – 1956 war es wohl – schwungvoll antrat, um, wie ich so naiv meinte, am Aufbau der Demokratie teilzuhaben, wollte mich eigentlich niemand haben. Aus Versprechungen, wenn ich denn wirklich nach Deutschland zurückkäme …, wurden Einladungen zum Essen und beiläufig ausgesprochene gute Wünsche.
Doch ich schaffte es auch so, unglaublich enttäuscht zwar, ob dieser ersten Lehrstunde menschlicher Unzulänglichkeit. Eine abenteuerliche Reise nach Indien, Burma und Nepal im Jahr 1954 wurde Ersatz für die fehlende Bildung, die berufliche Ausbildung und führte mich zum Beruf. Ich schilderte einer Leserschaft in Deutschland Eindrücke von fernen Ländern, die ihnen wie mir zwölf Jahre lang verschlossen geblieben waren. Journalismus erwies sich als Talent, politische Erfahrung als unersetzliche Grundlage. Es gab Fehlstarts. Alte Nazikamellen, unbedachter und bedachter Antisemitismus. Einem Teil des deutschen Volkes war ja die Vergangenheit verlustig gegangen. Warnzeichen wurden mit der Zeit deutlicher. Ich ignorierte sie zunächst. So wollte ich es. Mein Entschluß, wieder in Deutschland zu leben, sollte noch unverrückbar bleiben.
Es war Anfang des Jahres 1972, als ich zu dieser „Kistenparty“, wie ich es nannte, einlud. Ich erinnere mich, daß es zu meiner Verwunderung keine Absagen gab. Alle kamen, Freunde natürlich, ausländische Kollegen meist, auch Deutsche, denen ich vertraute. Andere, die gern Freunde geworden wären, so schien es mir im nachhinein, sich aber nicht trauten, mir, der vom Naziregime Verfolgten, nahezukommen aus Sorge, als Deutsche mit oder ohne Vergangenheit nicht willkommen zu sein. Wobei ich offen zugebe, daß ich es ihnen nicht leicht machte, erst wissen mußte, wo standest du damals, bevor ich meinem Gegenüber mehr als meine Hand aus Höflichkeit hinstreckte. Die Schläge, die meine Jugend begleiteten, hatten Wunden gerissen, die wohl niemals vernarben. Einige Regierungsbeamte waren unter den Gästen, die sicher meinten, so eine letzte Pflicht mir, der Journalistin einer israelischen Zeitung, gegenüber zu erfüllen, da ich sie des öfteren konsultieren mußte.
Einige trugen Dinnerkleidung. Eine weitere Verpflichtung, wie sie verlegen erklärten. Andere waren betont leger gekleidet, einer Kistenparty angemessen. Ich hatte eingeladen, um auf diese Wiese Adieu zu Bonn zu sagen. Nein, nicht auf Wiedersehen, adieu nach 14 Jahren – ein Gastspiel, das zu lang geraten war. Wollte ich es witzig ausdrücken, sagte ich: „Verstehen Sie doch, eine Berlinerin in Bonn“, und überließ es den anderen, darüber nachzudenken, ob dies die ganze Wahrheit war. Wieviele Nächte hatte ich mich mit den Blessuren geplagt, die mir deutsche Politiker und die deutsche Politik in jenen fünfziger und sechziger Jahren beigebracht hatten. Dazu gehörte das jahrelange Versteckspiel, um mit Israel diplomatische Beziehungen zu vermeiden. Die DDR eignete sich dazu als Vorwand, die mit der BRD um die Länder der Dritten Welt buhlte und, aus Feindschaft zu Israel, von der Sowjetunion gefordert, die besseren Karten hatte. Als Kanzler Erhard es schließlich wagen mußte, um den Handel mit den USA nicht zu gefährden, ging alles ganz leicht ab. Die Naziverbrecher-Prozesse, die nun zustandekamen, wenn auch die Urteile meist lächerlich niedrig waren, im Vergleich zu denen für normale Kriminelle mit einer geringeren Zahl von Opfern. Und schließlich verletzten mich zutiefst radikale Jugendliche der sechziger und siebziger Jahre, die sich „Linke“ nannten, doch keine waren, und nicht selten Antisemitisches und Faschistisches gegen den Staat Israel auf ihre Fahnen schmierten.
Man trank aus Plastikbechern auf mein Wohl, Reste aus Flaschen und Fläschchen, die meinen Cocktail- und Dinnerparties gegolten hatten. Es war zweifellos gut gemeint. Ich erwiderte die Toasts und strahlte Zuversicht aus. Und als ich das tat, schien es mir, als stünde ich neben mir, als verabschiedeten nicht sie mich, sondern ich sie, die zurückbleiben im dumpfen Bonn, dieser Hauptstadt ohne Charakter, dieser Schimäre einer Macht im weltweiten Mensch-ärgere-dich-nicht.
Sie würden so weiterleben, in ihrem Wohlstandsstaat mit den vielen Fehlern, die auszubessern die meisten nicht für wichtig hielten, so schien es mir. Es traf nicht sie, wenn jemand Juden beleidigte oder alte Nazis
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