Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
endlich Schluß sein“, meinten stets über sechzig Prozent der deutschen Bevölkerung, mehr oder weniger in Schuld verstrickt. Sei es nur über ihr schlechtes Gewissen, daß sie damals schweigend zusahen, nicht handelten, nicht aufbegehrten gegen das Verbrechen am Nächsten, am Unterlegenen, am Andersartigen. Einigen beherzten deutschen Politikern, die sich nicht von Zweckmäßigkeiten leiten ließen, und dem Druck des Auslands, das die Herausgabe weiteren belastenden Materials ankündigte, ist es wohl zu verdanken, daß die Verantwortlichen von Bonn sich doch noch zur Aufhebung der Verjährung entschlossen.
1958 wurde die „Zentralstelle für die Verfolgung von Naziverbrechen“ in Ludwigsburg geschaffen. Sie verdankt ihre Existenz einem eifrigen Staatsanwalt, der den Justizorganen bewies, daß sie ohne genauere Kenntnis der schrecklichen Materie zu keinem Urteil in der Lage seien. Da saßen nun einige Staatsanwälte und mühten sich redlich, die Tausende von Naziverbrechen aufzuklären. Leiteten sie diese zur weiteren Ermittlung an Polizeidienststellen weiter, konnten sie nie sicher sein, ob die Bearbeitung jemals oder nur lax erfolgte.
Und da gab es auch noch deutsche Richter. Unter dem Vorwand, die Beweiskraft von Zeugen sei nach so vielen Jahren an der „obersten“ Grenze angelangt, verhinderten sie nicht selten, daß diese Verbrechen gemäß dem Grad ihrer Schrecklichkeit gesühnt wurden. Viele Urteile – ein Tag Zuchthaus für Hunderte von Morden – trugen höchstens zur Verharmlosung der Verbrechen der Nazis bei. Ja, weniger als ein Zehntel aller derer, gegen die ermittelt worden war, wurde überhaupt verurteilt. „Ein dunkles Kapitel in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik“, nannte es Eberhard Jäckel. Die Verfolgung von Naziverbrechen sei voll von Verhängnissen und Versäumnissen, sagte er und fügte hinzu: „Damit bleibt das Verbrechen weiter ungesühnt.“ Im Frankfurter Auschwitz-Prozeß wurden von den 20 des Mordes Angeklagten nur sechs zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der zu Zeiten des Auschwitz-Prozesses amtierende Bundesjustizminister Ewald Bucher meinte, man müsse sich damit abfinden. Es sei nun mal das Schicksal der deutschen Nation, „mit Mördern zu leben“.
Mit Mördern leben? Als einige hundert junge Mitglieder der Rote-Armee-Fraktion irrigerweise meinten, mit Gewalt diesen in vieler Hinsicht reaktionären Staat verändern zu können, da schrien sie auf, die Leute von Bonn: „Der Staat ist in Gefahr!“ Zur Abwehr dieser gewalttätigen Truppe fiel ihnen ein Sondergesetz nach dem anderen ein. Man merke auf, als es sich um Naziverbrecher handelte, wiesen sie eine solche Möglichkeit brüsk von sich. Als wären die Träger des politischen Gifts des braunen Verbrecherstaates, die nicht oder nur selten zur Verantwortung gezogen wurden, keine Gefahr für kommende Generationen. In Deutschland gilt eben der feine Unterschied zwischen Mördern und Mördern, der politischen Motivation gemäß.
Mir wird jetzt oft weh ums Herz. Vielleicht sollte ich es sogar ehrlich zugeben: Mit einer gewissen Bitterkeit verfolge ich, mit welchem Eifer, ja mit welcher übertriebenen Geschäftigkeit die Westdeutschen nun in der Vergangenheit ihrer ostdeutschen Brüder bohren, um die Schuldigen, die Komplizen, die Handlanger jenes schändlichen Regimes der ehemaligen DDR auszusondern. Natürlich bin ich der Ansicht, wo Unrecht geschah, muß es aufgedeckt und verurteilt werden. Der Eifer indes beleidigt mich, beleidigt die Gemordeten. Man sagt mir, er sei psychologisch erklärbar. Eben weil die Westdeutschen es unterließen, sich mit den Naziverbrechen auseinanderzusetzen, entwickeln sie nun diese besondere, diese hektische Aktivität beim Aufspüren jener ostdeutschen Verräter am Menschen. Ich will das nicht werten. Ich sage nur, ein wenig von diesem Eifer bei der Verfolgung von Naziverbrechern hätte es mir leichter gemacht, Deutschen wiederzubegegnen. Und die Augen der Alten wären mir vielleicht nicht wieder in meinen Träumen erschienen. Oder ich hätte sie nicht wahrgenommen, vielleicht über sie gelächelt, wie jemand, der weiß, daß die Alte als Symbol der schrecklichen Vergangenheit der Gegenwart nicht mehr angehört.
In deutschem Namen
Deutsche Politiker haben schon lange aufgehört, sich bei diesem Thema der braunen Vergangenheit zu winden. Sie sprechen, wenn geschichtliche Daten oder die Zweckmäßigkeit sie dazu herausfordern, von Verbrechen, die „im deutschen Namen“ geschahen.
Weitere Kostenlose Bücher