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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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Im deutschen Namen! So stoßen sie es von sich, dieses Thema! Die Verbrechen, von Deutschen erdacht und von Deutschen verübt, sollen anonymisiert werden, zu Ereignissen ohne Täter, zu nebulösen Zwischenfällen ohne Konturen. In Berlin, wo die Bereitschaft, die Vergangenheit nicht zu übergehen, immer größer war als in der alten Bundesrepublik, errichtete man mit vierzigjähriger Verspätung ein Denkmal an dem Ort, von dem die menschliche Fracht in den Tod abgefertigt wurde. Auf einer steinernen Tafel daneben, die nur mit Hilfe einer Taschenlampe oder bei starkem Sonneneinfall lesbar ist, heißt es: „Zum Gedenken an die mehr als 50.000 Juden Berlins, die zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 vorwiegend vom Güterbahnhof Grunewald aus durch den nationalsozialistischen Staat in seine Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden“. Welch sprachgewandte Undeutlichkeit! Aber der Form ist Genüge getan. Die Aussage ist unangreifbar.
    Mit noch geringerem Engagement vermied man im Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands darauf zu verweisen, daß die Teilung und die damit verbundenen Leiden des deutschen Volkes eine unbestreitbare Ursache haben. Ein Regime, dem die Mehrheit des deutschen Volkes Vertrauen und Glaube schenkte, zwang vielen Völkern und auch dem deutschen Volk ein furchtbares Schicksal auf. Die freie Welt befreite, unter großen eigenen Opfern, Deutschland von seinem verbrecherischen Regime. Die Teilung Deutschlands war ein Preis dafür. Elegant in der Diktion sind die Worte, die in diesem Vertrag von historischer Bedeutung den Schleier darüber breiten sollen: „Im Bewußtsein der Kontinuität deutscher Geschichte und eingedenk der sich aus unserer Vergangenheit ergebenden besonderen Verantwortung für eine demokratische Entwicklung in Deutschland, die der Achtung der Menschenrechte und dem Frieden verpflichtet bleibt …“, heißt es da. Doch die Realität holt sie immer wieder ein, diese Schönfärber deutscher Geschichte. Nein, das ist wahrhaftig kein Trost.
Die müssen hier weg
    „Sie besuchen uns in einer Zeit, in der auf Hauswänden unserer Stadt längst überwunden geglaubtes Gedankengut sichtbar wird.“ Der Bürgermeister meiner Geburtsstadt Finsterwalde entschuldigte sich im Mai 1991 für das „Sieg Heil“ und die SS-Runen. In der ehemaligen DDR, wo die Einheit den Menschen die Richtschnur nahm, wagen sie es wieder, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. In den alten Bundesländern sind sie wohl noch zu satt dazu, haben noch zuwenig Veranlassung, Sündenböcke zu suchen, obgleich auch dort mancher seine Abneigung gegen Ausländer zum Ausdruck brachte. „Die müssen hier weg!“, sagte die Alte und wies auf die Fremden, die verstört auf den von deutschen Händen demolierten Hort ihrer Zuflucht blickten. So präsentierte sich die Frau nun auf dem Bildschirm. „Die haben hier nichts zu suchen“, fügte sie noch entschieden hinzu, und die ondulierten, fahlen grauen Haare wippten im Wind den Takt dazu. „Sie nehmen uns Wohnungen und Arbeitsplätze weg.“ Jüngere pflichteten ihr bei. „Sollen sie doch gehen, dorthin, wo sie hergekommen sind.“ Und sie sprachen laut und vernehmlich von „Anzünden“ und von „Verbrennen“. So, als ob Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit zu Mord berechtigten. Sie warfen schließlich den Brandsatz. So, wie man einen Ball wirft, den der andere nicht auffangen soll.
    Auch Kinder brannten wieder einmal in Deutschland. „Als im Frühjahr 1944 die vielen Massentransporte ungarischer Juden in Birkenau eintrafen, wurden Kinder lebendig auf den Scheiterhaufen geworfen.“ Ein Zitat aus einer Zeugenaussage vor einem deutschen Gericht Anfang der sechziger Jahre. Die Nachbarn von heute schlossen die Fenster, wollten nicht belästigt werden vom Brandgeruch und den Schreien von Menschen in Not. Wie sich die Bilder gleichen! Als sie am 27. Februar 1943 die letzten noch in Berlin lebenden Juden holten, da waren die Straßen wie leergefegt. Wer etwas zu besorgen hatte, tat es in fliegender Hast, warf einen kurzen, unauffälligen Blick auf die Transporter mit den Gezeichneten unter Polizeiaufsicht und eilte zurück in das schützende Haus. Hinter den Fenstervorhängen sah man sie verstohlen auf die Straße blicken. Gewiß, Weggucken ist nicht strafbar. Im Jahr 1991 kamen die Polizisten merkwürdigerweise zu spät, um in Hoyerswerda, Hünxe und anderswo Schlimmeres – Schlimmeres? – zu verhüten. Als am

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