Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
bekommen“, hörte ich meinen Vater sagen, damals 1938, als sich England nach der Pogromnacht bereit fand, Menschen, die das KZ überstanden, aufzunehmen. Er fiel nicht darunter. Nichtjüdische Freunde hatten ihn vor den Nazihäschern versteckt. Und er nahm die Jagd wieder auf von Konsulat zu Konsulat nach einem Visum irgendwohin. Mit ihm Tausende in gleicher Not.
In Kürze werden also deutsche Richter darüber urteilen, ob beispielsweise ein Jude aus der Sowjetunion, der dem Schwelbrand des Antisemitismus in seinem Lande zu entkommen sucht, als politisch Verfolgter die Gnade der Aufnahme in der Bundesrepublik finden kann. Oder ein türkischer Kurde, der einer folternden Diktatur entflieht. Ist nicht die Türkei ein geachtetes Mitglied der NATO, assoziiert dem Gemeinsamen Markt, aufrechter Kumpel im Golfkrieg? Gute zwischenstaatliche Beziehungen stehen auf dem Spiel. Man beschuldigt mich oft, Deutschland gegenüber zu mißtrauisch zu sein. Wie könnte es anders sein? Auschwitz, Synonym für die Verbrechen zwischen 1933 und 1945, ist zu einem Stück Geschichte geworden, das ohne Beziehung ist zum Leben des einzelnen Deutschen. Und so scheint es ihnen auch recht zu sein. Gewiß, die Erbschaft ist schwer. Wer wollte es leugnen. Darum schlugen sie sie aus. So einfach ist das. Bewußt, ohne Nachdenken und mit einer gewissen Selbstgefälligkeit. Ich aber kann die Augen der Alten nicht vergessen. Wohl nie mehr in meinem Leben.
Der Eichmann-Prozeß
Der Mann, der die Vernichtungsmaschinerie, die schließlich sechs Millionen Menschen tötete, erfand, sechs Millionen Juden, die in Nazi-Deutschland als lästige Insekten bezeichnet wurden, ist von den Israelis verhaftet worden und soll vor Gericht gestellt werden. Die Nachricht von seiner Verhaftung überraschte die ganze Welt. Die Deutschen waren sprachlos. Einen Tag lang traten alle anderen Ereignisse der Welt in den Hintergrund.
In Berlin, der Stadt, die am meisten von internationalen Konflikten betroffen war, berichteten die Zeitungen in großen Schlagzeilen über Eichmanns Gefangennahme. Kein Wunder, schließlich lebten noch eine ganze Reihe von Berlinern, die sich sehr genau an Eichmanns „Tätigkeit“ erinnerten. Seine Mitarbeiter griffen seine Opfer auf, wo sie sie fanden – auf der Straße, in ihren Wohnungen, an ihren Arbeitsplätzen. Die Methoden, die sich Eichmann für die Deportation der Juden in polnische oder deutsche Lager und für deren endgültige Vernichtung ausdachte, müssen aus einem teuflischen Hirn geboren worden sein.
Doch betrachtet man den Menschen Eichmann genauer, stellt man fest, daß er in einer normalen bürgerlichen Familie aufwuchs, eine gute Erziehung genoß und nach seiner „Arbeit“ ebenfalls ein glückliches Familienleben lebte. Als er mit der Aufgabe betraut wurde, Juden zu „liquidieren“ – wie es im Nazijargon hieß, war er gerade dreiunddreißig Jahre alt.
Wie viele junge Leute, denen die Schwäche der neuen deutschen Republik ein Dorn im Auge war, folgte auch Eichmann mit Begeisterung dem Aufruf Hitlers, am Aufbau Deutschlands mitzuarbeiten. Auf diese Weise opponierte die Nachkriegsgeneration gegen ihre oft kleinbürgerlichen Familien und wandte sich gegen das der „neuen Ordnung“ passiv gegenüberstehende Volk. Dabei waren sie überzeugt, daß Hitler ihr Land zur einstigen Größe zurückführen würde. Ihre Rolle dabei schien ihnen wie selbstverständlich. Alles, was sie taten, geschah ihrer Meinung nach im Dienste des Vaterlandes. Viele der Mörder – so wurde später festgestellt – waren sich ihrer Verbrechen nicht bewußt. Blind folgten sie den Anweisungen, gleich welcher Art.
Zunächst erfüllte die Menschen ein Gefühl der Genugtuung, als sie von der Verhaftung des Massenmörders erfuhren. Adolf Eichmann, einer der Hauptverantwortlichen für die sogenannte „Endlösung“ der Judenfrage, auf der Anklagebank würde auch ihrer aller Schuld abtragen. Als bekannt wurde, er sei in Argentinien, wo er unter falschem Namen lebte, vom israelischen Geheimdienst gekidnappt worden, ließ die Begeisterung der Deutschen nach, auch wenn dies keiner laut aussprach. Eichmanns Entführung erinnerte sie an ähnliche Methoden, für die die Israelis in der Sinai-Kampagne verantwortlich waren. Hier zeigt sich wieder einmal, daß die Deutschen ein sehr korrektes Volk sind, selbst wenn es sich um Verbrecher handelt. Lenin sagte einmal über die Deutschen, sie würden erst eine Bahnsteigkarte kaufen, bevor sie einen Bahnhof
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