Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Triumph, denn es schien uns ganz amüsant, nun die Alliierten in Schwierigkeiten zu sehen“, so beschrieb der Schriftsteller Heinrich Böll in einer Rede im Jahre 1956 die deutsche Reaktion. „Später, später begriffen wir, daß Schadenfreude nicht das angebrachte Gefühl war. In diesem Konflikt lag eine Chance.“ Und diese Chance ergriffen die Deutschen, und es machte sie reich und selbstzufrieden, da alle Welt bei ihnen vorsprach. Der Satz „Wehe dem Besiegten“ galt nicht mehr. „Wehe dem Sieger“ hätte es nun heißen müssen. Und Böll klagte: „Stück um Stück haben wir uns unsere Nachdenklichkeit abkaufen lassen.“ Der Völkermord, den Deutsche an Juden sowie Sinti und Roma verübten, hat die meisten Deutschen noch nicht einmal im nachhinein verstört.
Für ein offizielles Schuldbekenntnis, so ein Vertrauter des damaligen Kanzlers Adenauer, hätte erst die psychologische Basis im deutschen Volk vorbereitet werden müssen, damit es den Bemühungen der Regierung um eine Versöhnung mit den Juden zustimmte. Der Staat Israel war zu Verhandlungen mit der Bundesrepublik über die Frage der Rückgabe gestohlenen Gutes – ich vermeide bewußt das unglückselige Wort der Wiedergutmachung – nur nach einer offiziellen Stellungnahme zum Mord an den Juden bereit. Kanzler Adenauer unterbreitete im September 1951 dem Bundestag eine entsprechende Erklärung. Sie enthält die erstaunliche Behauptung, daß das deutsche Volk in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und sich nicht an ihnen beteiligt habe. Die Wahrheit aber ist, daß ohne die Mithilfe unzähliger deutscher Handlanger und Organisatoren, die darüber nachsannen, wie man schneller, sauberer und rationeller mordet, die Verbrechen nicht möglich gewesen wären. [4] Die aber, die ihren Kopf für unser Überleben riskierten, sie, die stillen Zeugen der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit, die wahren Helden ihres Landes, blieben Unbekannte.
----
[4] Für den entsprechenden Text der Erklärung siehe hier .
Man setzte kein Denkmal
Man setzte kein Denkmal, nannte keine Straße nach ihnen, pflanzte keinen Baum zur Erinnerung an ihren Mut, wie das in Israel geschieht. Natürlich wurde in dieser ersten Erklärung auch etwas über eine tolerante und verständnisvolle Haltung der Deutschen gegenüber dem Staat Israel und dem jüdischen Volk gesagt. Nur so war es wohl für Israel möglich, diese Erklärung anzunehmen und Gespräche mit der deutschen Regierung zu führen. Die Not zwang Israel dazu, eine Not, die ihre Ursache in dem Bemühen hatte, die etwa 500.000 gebrochenen Menschen, die zwischen 1933 und 1951 als Flüchtlinge oder KZ-Insassen in das Land Palästina, das spätere Israel, geströmt waren, zu integrieren.
Der Mord an den Millionen Juden, Polen, Sinti und Roma, Russen wurde nicht gesühnt. Natürlich – werden mir deutsche Juristen vorhalten – so war es nun einmal mit dem deutschen Strafrecht zu Zeiten des Auschwitz-Prozesses. Es sah vor, daß dem Angeklagten die Schuld lückenlos nachzuweisen ist. Die Todeslager aber waren so konstruiert, daß Gefangene nur durch Zufall überlebten. Die Zahl der Zeugen war entsprechend gering, viel zu gering, um den Regeln des deutschen Strafrechts zu genügen. Ein präzises Bild vom Ablauf auch nur eines Mordes war selten nachzuzeichnen. Nach quälenden Prozessen, die viele Jahre nach dem Geschehen mehr zufällig als von der deutschen Justiz gewollt oder gefördert abliefen, blieben viele Gehilfen ohne Verantwortung, nur wenige Schuldige, noch weniger, die verurteilt wurden. In diesen Todeslagern aber, die zu nichts anderem als zur Vernichtung von Menschen bestimmt waren, mußte jeder schuldig werden, der dort Dienst tat. Das damals gültige Strafrecht war für diese Art von Verbrechen ungeeignet. Nur ein Strafrecht, nach dem jene, die in Massenvernichtungslagern dienten, ihre Unschuld nachzuweisen hatten, hätte die Schuldigen einer gerechten Strafe zuführen können.
Deutsche Politiker mimten Entsetzen: „Sondergesetze haben die Nazis erlassen. Unrecht kann nicht durch neues Unrecht getilgt werden.“ So reagierte die Mehrheit der Bonner Volksvertreter, als man 1965 von ihnen nur die Aufhebung der Verjährung von Naziverbrechen verlangte, um so die Fortführung dieser, wenn auch unzulänglichen, Prozesse gegen die Mörder von Auschwitz, Treblinka und Sobibor zu gewährleisten. Nur zu gut wußten sie, daß diese Prozesse unpopulär waren. „Es muß doch
Weitere Kostenlose Bücher