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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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9. November 1938 in Deutschland die Synagogen brannten, jüdische Geschäfte geplündert und Juden geschlagen wurden, da standen deutsche Polizisten im Namen des Gesetzes tatenlos herum. Damals kamen sie rechtzeitig. Heute verspäteten sie sich. Man lernt eben doch etwas aus der Vergangenheit.
    Man müsse der Einwanderung von Ausländern unbedingt Einhalt gebieten, sagen viele, die in Deutschland Verantwortung tragen. In Wahrheit meinen sie: Und führ uns nicht vor aller Welt in Versuchung! Wer wollte schon im Wohlstandsstaat Deutschland das Elend der Welt vor Augen haben und gar auf einen Mercedes verzichten müssen?
Sieg der Schläger
    Bayerns Ministerpräsident Max Streibl sprach kürzlich von „Wirtschaftsschmarotzern“ aus aller Welt, die Deutschland nicht brauchen könne. Wen meinte der deutsche Politiker eigentlich? Etwa die Menschen, die ich in Moskau in langen Schlangen viele Stunden vor den Geschäften nach etwas Eßbarem anstehen sah? Oder die Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Südamerikas, die keine Hoffnung haben, je einen Arbeitsplatz zu finden und deren schreckliche Armut in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wohlstand der westlichen Welt steht? Die Bezeichnung „Asylanten“ ist außerhalb Bayerns gebräuchlicher geworden. Aber man mache sich nichts vor: Auch sie ist inzwischen ein Synonym für Abschaum. Asylanten – Menschen, die in Not sind, irgendeiner Not, aber doch in Not – müßten nach Ansicht deutscher Politiker schon an der Grenze abgewiesen werden. Schärfere Gesetze müßten her. Und jene deutschen Politiker, die ihrem Wortschatz die Worte „Scheinasylanten“ und „Asylmißbrauch“ hinzufügten, wurden ungewollt zu Erfüllungsgehilfen der Brandstifter und ihrer Sympathisanten. Denn wo immer sie leichtfertig verschärftem Asylrecht das Wort redeten, folgten Anschläge auf Menschen, die irrigerweise angenommen hatten, dieses neue, der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtete Deutschland verstünde ihre Not. Wo es gar zu arg wurde, ließen sie die Armen an einen anderen Ort bringen. So hatten die Schläger ihren Sieg und auch sie, die Politiker. Sie hatten dem Volk mal wieder aufs Maul geschaut.
    Ob jene deutschen Politiker wohl wissen, was es heißt, die Heimat zu verlassen? Alles zurückzulassen – Familie, Freunde, ein Heim – und sich ins Ungewisse zu begeben, wo alles fremd ist – selbst die Sprache und die Gebräuche, wo sich keine Hand zum Gruß ausstreckt? Ich weiß es, und mit mir wissen es die vielen, die von Deutschen vertrieben wurden. Niemand geht leichtfertig aus der Heimat weg. Die wenigen Ausnahmen bestätigen keine Regel. Warum blieben wohl so viele Juden in Deutschland, damals, als sie schon gedemütigt, erniedrigt und verfolgt wurden und eine Auswanderung noch möglich war?
Kein Ruf aus Berlin
    Ich war dabei, als mein Vater nach Jahren im Exil, einer Heimat wider Willen, seine Naturalisierungsurkunde als britischer Staatsbürger erhielt. Er hatte diese Staatsbürgerschaft nach dem Zweiten Weltkrieg beantragen dürfen. Und er tat dies, weil er ohne Staatsbürgerschaft – die Nazis hatten die Juden ausgebürgert – noch größere Schwierigkeiten gehabt hätte, in England einen Arbeitsplatz zu finden. Aus Berlin kam ja kein Ruf, mit dem Emigranten gebeten wurden, zurückzukehren, um zum Aufbau eines demokratischen Staatswesens beizutragen. Eine Tatsache, die mir bis heute unverständlich geblieben ist. Ich sehe meinen Vater noch heute vor mir an jenem Morgen im Jahre 1947, mit dem Dokument in der Hand, das ihm die Post ganz informell gebracht hatte. Er ging damit zum Fenster seines kleinen Büros, hielt das Papier dicht an seine Augen, als wolle er den Inhalt genauestens prüfen. Dann legte er es auf den Tisch, stand davor, den Kopf gesenkt, und schwieg, schwieg lange. Er empfand so offensichtlich keine Freude über diese Legalisierung, eher eine tiefe Niedergeschlagenheit, ja Trauer. Es war für ihn wohl, als ob die Nabelschnur zu Deutschland erst jetzt und nun endgültig durchschnitten war. „Ich habe manchmal Heimweh, ich weiß nur nicht, wonach“, dichtete die ehemalige Berlinerin Mascha Kaleko.
    Stets werde Deutschland für solche Menschen offen sein, die eine politische Verfolgung nachweisen können, verheißt ein Artikel des Grundgesetzes, der, zwar abgeschwächt, so doch erhalten bleiben solle. Das beteuern die Leute aus Bonn. „Man muß also erst ins KZ rein und dann wieder rauskommen, um Asyl zu

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