Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
ich von dieser Stadt geprägt worden war. Das Erlebnis mit dem Theater, mit den meist jungen Schauspielern und das Zusammentreffen mit jungen Berlinern, die das Theaterstück A b heute heisst du S ara fasziniert aufnahmen, ermutigten mich. Ja, mehr noch, sie gaben mir eine lange nicht gekannte Sicherheit zurück, mich in Berlin, der Stadt, in der ich so viel gelitten hatte, wieder frei bewegen zu können. Die Zusammenarbeit mit Volker Ludwig hat das zuwege gebracht und wurde zur Grundlage einer Freundschaft, für die ich zutiefst dankbar bin.
Kinder schreiben Briefe an eine Achtzigjährige
Kinder schreiben Briefe, nicht irgendwelche Briefe, nicht an irgendjemanden. Sie schreiben Briefe mit Inhalt, Briefe, in denen sie ihre Gefühle ausdrücken, Briefe, in denen sie Fragen stellen, ihre Meinung sagen, auch Rat und Hilfe anbieten.
„Haben Sie Probleme, dann wenden Sie sich an uns!“ Steffi, 13 Jahre
Sie richten ihre Briefe an mich, eine Achtzigjährige, die versucht, ihnen ein abscheuliches Geschehen nahezubringen – ein Geschehen des letzten Jahrhunderts, in das nicht selten auch ihre Großeltern verstrickt gewesen waren. Häufig werden diese Briefe von Lehrern angeregt. Doch der Inhalt ist sehr persönlich und gelangt unzensiert an mich.
„Ich würde gern meine Großeltern oder meine Großtante befragen, wie es damals war (sie lebten damals auch in Berlin). Ich habe Angst davor. Ich weiß nicht, warum. Aber ich habe Angst.“ Laura, 15 Jahre
Alles begann im Jahre 1987. Volker Ludwig, der Leiter des Berliner Kinder- und Jugendtheaters „GRIPS“, besuchte mich in Tel Aviv und schlug mir vor, aus meiner Autobiographie „Ich trug den gelben Stern“ ein Theaterstück zu machen. Ich war zunächst skeptisch, ob es gelingen könnte, mein Leben als Kind sozialistischer Eltern, als verfolgte junge Jüdin zur Zeit des Naziregimes und schließlich, von Berlinern vor der Deportation in ein Vernichtungslager versteckt, auf die Bühne zu bringen. Volker Ludwig schickte mir jede Seite der Bühnenfassung zur Korrektur nach Tel Aviv. Ich war überrascht und auch begeistert, mit welch ungewöhnlicher Sensibilität für jemanden, der diese schreckliche Periode deutscher Geschichte nicht miterlebt hat, es ihm und seinem Koautor Detlef Michel gelungen war, die Zeit in ihrer ganzen Unmenschlichkeit, unsere alltägliche Not und unsere verzweifelten Versuche, uns gegen unsere Widersacher zur Wehr zu setzen, szenisch darzustellen.
Die jüngeren Schauspieler hatten zunächst einige Schwierigkeiten damit. Es war das erste historische Stück, das das Grips Theater auf die Bühne bringen wollte. Alle anderen waren Gegenwartsstücke. Und dann das Thema! Viele der Schauspieler waren in der Schule damit überfüttert worden. Sie waren besorgt, daß es ihrem jungen Publikum ebenso gehen würde wie ihnen und sie sie als Zuschauer verlieren könnten. Doch die Songs, die Volker Ludwig in das Stück einfügte, machten klar, daß es sich zwar um ein historisches Stück handelte, zugleich aber auch um sehr aktuelle Probleme. Die Premiere fand am 9. Februar 1989 statt, zehn Tage nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus, wo die Republikaner zum erstenmal mit 7,9 Prozent ins Abgeordnetenhaus einzogen. Damit wurde das Stück sehr aktuell und seine Wirkung unglaublich. Das junge Publikum verstand sofort, daß sich die Handlung auf die Gegenwart bezog. Noch heute wird das Stück mit gleicher Begeisterung aufgenommen.
Bei der Premiere war ich anwesend. Es fiel mir nicht leicht, dem Spiel auf der Bühne zu folgen. Schon während der Proben, an denen ich in den letzten Wochen vor der Premiere teilnahm, kämpfte ich gegen Tränen. Worte, Sätze, die meine Eltern oder Freunde gesprochen hatten, waren nun von der Bühne zu hören. Szenen, die Situationen aus jenen schlimmen Jahren wiedergaben, waren für mich nicht nur Erinnerungen. Alles in diesem Stück ist ja authentisch. Doch ungeachtet der emotionalen Belastung für mich, gehe ich immer wieder ins Theater, nur um die Reaktionen des jungen Publikums auf das Theaterstück zu beobachten. Es fasziniert mich, mitzuerleben, wie die Jugendlichen mit Spannung dem Geschehen auf der Bühne folgen, wie sie mitgehen und mitleiden, wie sie am Schluß begeistert applaudieren.
„Wenn wir zurückblicken auf die Geschehnisse früher, dann machen sich Anzeichen bemerkbar, daß alles wieder von vorne beginnt, und das können und wollen wir nicht dulden. Um dies zu vermeiden, müssen wir lautstark protestieren,
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