Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen
Israel auszuwandern, ging sehr wesentlich auf diese Enttäuschung zurück.
Anfang 1988 besuchte mich Volker Ludwig in meiner Wohnung in Tel Aviv. Wir saßen einander gegenüber – ich, die israelische Journalistin, ganz auf die Vergangenheit Deutschlands und die Geschehnisse im Nahen Osten fixiert. Er, der deutsche Bühnenautor, der jungen Menschen realistisches Theater präsentiert, „in dem sie sich und ihre Umwelt wiedererkennen“ (Zitat Ludwig). Unser Gespräch drehte sich natürlich um die Umsetzung meines Buches für die GRIPS -Bühne. Mir schien das damals alles noch sehr abstrakt zu sein, und ich nahm es eigentlich nicht ernst. Vermutlich würde dies wieder ein zwar lobenswerter, aber doch zum Scheitern verurteilter Versuch sein, das Schicksal einer Verfolgten darzustellen als untrüglichen Beweis für die Verbrechen, die Deutsche verübt hatten. Wer wollte das in Deutschland schon wissen? Derartige Gedanken gingen mir während des Gesprächs durch den Kopf. Sicher war das auch eine Art von Selbstschutz nach den verschiedenen gescheiterten Versuchen. Ich wollte nicht noch einmal enttäuscht werden. Und so behielt ich auch noch meine Bedenken für mich, die sich aus Volkers Bindung an die 68er-Bewegung ergaben und die ich auf keinen Fall vergessen wollte. Zu tief hatten mich die damaligen Verlautbarungen und Aktionen dieser 68er, die sich wie ich Linke nannten, getroffen.
Dennoch – unser Gespräch ließ mich lange Zeit nicht los. Sehr ehrlich hatte Volker Ludwig zugegeben, daß er mit einer Realisierung meines Lebens für die Bühne des GRIPS vom Charakter des Theaters abweichen würde. Bisher hatte man im Einklang mit Sinn und Absichten des Theaters auf Stücke mit historischem Inhalt verzichtet. Für sein vornehmlich junges Publikum war Ende der achtziger Jahre die Nazizeit Historie, die sie ihrer Meinung nach nur sehr bedingt etwas anging. Ich kam in Zwiespalt. Die Nazizeit war doch nicht nur eine der vielen Perioden deutscher Geschichte. Sie wirkt bis heute, fünfzig Jahre danach, fort. Und würde das noch lange tun, wenn man es unterließ, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Insofern war sie doch nicht Historie von etwas für immer Vergangenem. War es nicht Ludwigs Aufgabe, seinem Publikum dies begreiflich zu machen? Die Termini „Pflicht“ und „Verpflichtung“ kamen mir in den Sinn und schienen mir in diesem Zusammenhang angemessen. Andererseits begriff ich, daß der Sache nicht gedient wäre, würde das Publikum sein Theater nicht mehr verstehen. Schließlich würde es nur darauf ankommen.
Trotz aller Zweifel, was den Inhalt unserer Gespräche betraf, gab ich zu, daß mir Volker sympathisch war. Mir war aufgefallen, daß wir eine sehr ähnliche Art zu denken und zu sprechen hatten. Dabei spielte natürlich in erster Linie die uns gemeinsame politische Grundhaltung eine Rolle. Ich war als Folge meines Lebenslaufes dem Sozialismus nun noch enger verbunden als je in meiner Jugendzeit. Er war in der Verlogenheit des Adenauer-Staates aufgewachsen und hatte als Ausweg den Kontakt zu den Linken gefunden. Und so war es eigentlich ein sehr offenes Gespräch, das wir geführt hatten, ein Gespräch ohne Zwischentöne, wie es nur selten mit einem Deutschen zustande kommt, der nicht zur Generation der kompromißlosen Nazigegner gehört hatte.
Wenige Monate nach seinem ersten Besuch kam Volker Ludwig mit seinem Ensemble nach Jerusalem. LINIE 1 stand auf dem Spielplan des alljährlichen Jerusalemer Festivals. Nun schien es mir schon, als käme ein Freund aus Berlin. Es war wohl bei dieser Gelegenheit, daß ich meine Bedenken gegen die 68er-Bewegung äußerte. Die Veranlassung dazu boten einige Schauspieler, die nicht nach Israel hatten reisen wollen. Einerseits der Terrorangriffe wegen, andererseits weil ihre Sympathien auf seiten der Palästinenser waren, die sie als von Israel Unterdrückte bezeichneten und mit denen sie sich solidarisierten. Als ich Volker Ludwig die Bedeutung der Haltung der 68er zum Thema Israel für mich auseinandersetzte, drückte er Erstaunen aus. Niemals, so sagte er mit Bestimmtheit, hätte er sich mit dem Thema Israel in dem Sinne befaßt, in dem ich es erlebt hatte. Er hätte auch keine Erinnerung an Erklärungen, in denen die 68er-Bewegung Israel verdammt hatte. Tatsächlich hätte diese Bewegung aus so vielen Fraktionen bestanden, daß man fast in keinem Falle von einer einheitlichen Linie hätte ausgehen können. Ich glaubte ihm, denn ich konnte mir vorstellen, daß er sich
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