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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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mit Respekt entgegen, half uns, uns aufzurichten, sann mit uns über Auswege aus schwierigen Situationen nach, wußte immer wieder Rat. Ja, er gab uns ein Stück Selbstachtung zurück. Wir nannten ihn Papa, den Mann, der sich um uns sorgte und mit uns lebte im wahrsten Sinne des Wortes.
    Mit seiner Witwe blieb ich bis zu ihrem Tode in Kontakt. Sie lebte von einer bescheidenen Rente, die ihr die Stadt gewährte, und war böse darüber, daß ihres Mannes Hilfe für Verfolgte nicht anerkannt wurde. Sie übergab mir die 150 Karten aus Theresienstadt, auf denen die Empfänger Pakete bestätigten, die ihnen Otto Weidt geschickt hatte. Wohl der einzige Deutsche, der den Hungernden im KZ mit Lebensmitteln aushalf.
    Heutigen Statistiken zufolge verhalfen sie 25 Personen zum Überleben. Dazu übergab mir Frau Weidt eine Anzahl von Dokumenten, von deren Wichtigkeit ich wohl damals noch weniger verstand als sie.
    Ich lebte acht Jahre ungern in England. Dort lernte ich, was es heißt, ein Ausländer zu sein. Mitte der fünfziger Jahre beschloß ich, nach Deutschland zurückzukehren. Ich ging nach Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt, weil ich meinte, dort beim Aufbau der Demokratie mittun zu können. Zu meiner Überraschung fand ich eine Atmosphäre vor, die ich nicht begriff. Es war, als hätte es nie eine schreckliche Vergangenheit gegeben, hätte nie ein Deutscher schwere Schuld an Menschen auf sich geladen. Statt dessen saßen alte Nazis in hohen Positionen neu aufgebauter demokratischer Institutionen. Ihr Einfluß war spürbar. Ich mußte bald erkennen, daß ich mit meinem ständigen Erinnern an die Opfer, an die Retter, an die Verbrecher in Bonn störte. Gewiß, man tat schließlich etwas für eine sogenannte Wiedergutmachung und stellte Naziverbrecher vor Gericht, oft nur auf Druck des Auslands. Ihre Strafen spotteten häufig ihren Taten.
    Im September 1951 legte Bundeskanzler Adenauer eine Regierungserklärung vor, mit der eine tolerante und verständnisvolle Haltung der Deutschen gegenüber dem Staat Israel und dem jüdischen Volk versichert wurde. Dann ging er im dritten Teil der Erklärung auf die Vergangenheit ein und betonte, daß die Mehrheit des deutschen Volkes die begangenen Verbrechen an den Juden verabscheut und sich nicht daran beteiligt habe. [5]
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    [5] Für den vollständigen Text siehe hier .
    Was ich damals dazu empfand, brauche ich Ihnen sicher nicht klarzumachen. Es spornte mich an, mehr zu tun, deutlicher noch als zuvor über die Verbrechen der Nazizeit zu sprechen und die risikoreiche Hilfe der wenigen mutigen Retter hervorzuheben. Es machte mich noch mehr zum lästigen Störenfried. Ich erkannte die Nutzlosigkeit meines Tuns und wanderte schließlich nach Israel aus.
    Im Jahr 1988, kurz vor der Wende, sah ich die Räume in der Rosenthaler Straße wieder, die einst die Blindenwerkstatt Weidt beherbergt hatten. Zu meiner Überraschung waren sie unverändert, so als ob keine vierzig Jahre nach Kriegsende vergangen waren. Ich hatte das Gefühl, ein Mausoleum zu betreten.
    Die Erinnerung warf Schatten an die Wände, Schatten von Menschen und von Judensternen. Die hölzernen Treppenstufen, die schäbigen Dielen knarrten unter meinen Tritten wie einst, wenn wir uns vor der Gestapo zu verstecken suchten. Ich dachte damals viel darüber nach, wie man in diese Räume, die einst eine Oase in unserer damaligen Not gewesen waren, wieder Leben hineinbringen könnte.
    Ich wandte mich an den Berliner Magistrat (Ost) mit der Bitte, man möge doch wenigstens eine Tafel der Erinnerung dort anbringen. Eine Antwort erhielt ich nie. Der erste, 1990 auf demokratische Weise gewählte Bürgermeister in Ost-Berlin, Tino Schwerzina, hatte Verständnis für mein Begehren, dem sich inzwischen Volker Hobrack (BVV) angeschlossen hatte. Doch bürokratische Barrieren konnten wir beide nicht wegräumen. Es war die damalige Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Frau Hanna Renate Laurien, die mich ermutigte, eine Tafel der Erinnerung allen Widersachern zum Trotz anzubringen. Eine entsprechende Feierstunde im Jahr 1994 mit dem damaligen Senator für Kultur, Roloff-Momin, und einem Sohn von Otto Weidt, der von den Heldentaten seines Vaters – die elterliche Ehe war geschieden – nichts gewußt hatte, gab es schließlich. Mir schien das damals das Höchste, was wir zur Erinnerung an Otto Weidt erreichen konnten.
    Doch die Geschichte der Blindenwerkstatt lebte einem Märchen ähnlich weiter. Eine Studentin, als Praktikantin in

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