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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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Luftangriffe den Widerstand der Deutschen gegen ihre Führung anzufachen. Aber das gelang ihnen nicht.
    „Wir müssen doch siegen!“ Beschwörend klangen diese Worte, die Zuhörer nickend bestätigten. „Was soll denn sonst aus Deutschland werden?“ Sie fragten es flüsternd den Nachbarn auf der Treppe, den zufälligen Gesprächspartner auf der Straße, den vor ihnen in der Schlange nach Lebensmitteln anstehenden Volksgenossen. Sie sprachen nicht davon, daß Deutsche sich an vielen Völkern Europas versündigt hatten. Viel eher glaubten sie, beweisen zu können, daß die Welt Deutschland habe vernichten wollen.
    Und nun war einer gekommen, der Deutschlands Größe wieder herstellen wollte. So sollte es sein, so könnte es sein, so würde es sein. Deutschlands Generäle folgten den Anweisungen des Führers, der Rückzug verboten und gedroht hatte, alle jene zu entlassen, die sich diesem Befehl widersetzten. Derartige Gespräche endeten meist mit dem Hinweis auf Deutschlands Wunderwaffen, die noch in der Entwicklung seien, die V1 und die V2, die bereits englische Städte zerstört hätten, oder die Armee Wenck, von der zwar keiner wußte, wo sie auf ihren siegesgewissen Einsatz wartete. Deutschland hätte die modernsten Waffen und Soldaten, die es als ihre Mission ansahen, die Feinde zu besiegen und ihr Land zu Ruhm und Ehre zurückzuführen. Ein tiefer Seufzer begleitete die Schlußpunkte derartiger Gespräche: „Ach, wenn der Krieg nur bald ein Ende hätte.“
    In der Nacht vom 30. Januar 1944 setzten Bomben auch das Haus in Brand, in dem wir ein so günstiges Versteck gefunden hatten (Sächsische Str. 26). „Ihr könnt bei mir bleiben, so lange Ihr wollt.“ Mit diesen Worten hatte uns Lisa Holländer aufgenommen. „Ich habe keine Angst, mein Liebstes haben sie mir schon genommen.“ Ihr jüdischer Ehemann, bis 1938 ein erfolgreicher Exportkaufmann, war plötzlich und grundlos verhaftet worden. Seine Frau erfuhr nie etwas über sein Schicksal, bis eines Tages ein Paket aus einem Konzentrationslager mit seiner blutigen Hose eintraf und dem Vermerk: Paul Holländer sei an einem Herzversagen gestorben.
    „Unser Versteck“, murmelte meine Mutter vor sich hin und guckte in die Flammen, die sich langsam und ungehindert in unser Haus fraßen. Wir verbrachten die Nacht auf der Straße, saßen auf geretteten Matratzen, aus denen bei der kleinsten Berührung Flammen aufspritzten. „Wo sollen wir bloß noch hin?“
    Ich gab vor, ihr nicht zuzuhören. „Ich habe keine Kraft mehr.“ Selten hatte ich meine Mutter so verzweifelt gesehen. „Immerzu fliehen.“ Sie war Anfang fünfzig. Die Jahre von 1933 an mit den Verfolgungen und Drohungen, den Verboten und Verhaftungen, hatten an ihrer Kraft gezehrt. „Eines Tages werden sie uns doch finden.“ Und sie rechnete mir vor, aus wie vielen Verstecken wir schon hatten fliehen müssen. „Mach du allein weiter! Ich gebe auf!“ Ich ertrug das nicht. Ich stürzte in ihre Arme, schüttelte sie und schwor, daß ich sie nicht allein gehen lassen würde. Ich würde natürlich mit ihr gehen, wenn sie darauf bestand, aufzugeben. „Du mußt weitermachen, du hast die Kraft dazu“, entgegnete sie.
    Tante Lisa hatte Bruchstücke unseres Gesprächs mitangehört. „Wie kannst du nur so sprechen, Ella, denk doch an uns, die Freunde. Auch wir warten sehnsüchtig auf das Ende.“ Und sie verwies auf die militärische Lage Nazi-Deutschlands. Es gäbe doch nun wirklich keine Zweifel mehr darüber, daß Deutschland den Krieg verlieren und das Ende des Naziregimes Gewißheit würde. „Ach, es dauert doch alles so lange“, entgegnete meine Mutter sehr leise und auch ein bißchen verlegen.
    Walter Rieck, einer unserer Helfer, hatte von den schlimmen Zerstörungen in unserem Bezirk gehört und fürchtete um unsere Sicherheit. Zwei Frauen ohne Papiere würden ohne Zweifel als versteckte Jüdinnen entlarvt werden, sobald die Verwaltung die Lage wieder im Griff hatte. Rieck nahm uns nach Potsdam mit. Dort hatte seine Familie in einer kleinen Siedlung am Stadtrand einige Zimmer gemietet. Wie das so viele ausgebombte Berliner getan hatten oder solche, die die Angst vor den Bomben in das noch heile Potsdam getrieben hatte. Die Familie Rieck rückte zusammen. Es gab noch Platz für uns. Ein Provisorium natürlich.
    Mit Hilfe einiger Bewohner der Siedlung, die Mitleid mit den in Berlin ausgebombten Richters hatten, wie wir uns nun nannten, fanden wir eine Unterkunft. Es war ein ehemaliger

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