Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
Vom Netzwerk:
mit der Tochter des Kranken darüber, was im Falle des Ablebens des Vaters zu tun sei. Doch zum Glück fand sich ein jüdischer Arzt, der durch seine nichtjüdische Ehefrau von einer Deportation verschont blieb. Er war nur zur Behandlung von legal lebenden Juden zugelassen. Doch er war bereit, dem Kranken zu helfen. Ungeachtet der Gefahr für sich selbst, entfernte er den Stern von seinem Mantel und eilte ans Krankenbett des 62jährigen. Er konnte ihm helfen. Georg Licht wurde wieder gesund. Ein Aufatmen ging durch die Werkstatt. Das Schicksal des einen war doch mit dem Überleben der übrigen Versteckten verbunden. Eine Galgenfrist, von der sie nichts ahnten.
    Weidts Bürstenfachmann Chaim Horn begegnete an einem Tag im Oktober 1943 einem ehemaligen Freund. Mit Stolz weihte er ihn in sein Geheimnis ein. Weidt habe ihn und seine Familie seit mehreren Monaten versteckt. Horn konnte nicht ahnen, daß er einem Spitzel der Gestapo gegenüberstand. Einem, dem die Gestapo als Lohn für aktive Mitarbeit Überleben versprochen hatte. Wenige Tage später erschien die Gestapo in der Blindenwerkstatt und holte sie alle ab. Es bleibt Weidts Geheimnis, wie es ihm gelang, daß seine Schützlinge nur nach Theresienstadt, dem Lager für Privilegierte ohne Gaskammern, und nicht direkt nach Auschwitz deportiert wurden.
    Von da an packte Weidt Pakete für seine Freunde in Theresienstadt mit Trockengemüse, Trockenkartoffeln, trockenem Brot, mit allem, was er ohne Lebensmittelmarken auftreiben konnte. Auf vorgedruckten Karten bestätigten die Freunde den Empfang. In einem kurzen ihnen erlaubten Gruß machten sie klar, wie bedeutend diese Sendungen für sie waren. „Grüß meine Freunde, die Wittlers“, stand da zu lesen. Wittler war zu jener Zeit der größte Brotfabrikant in Berlin. Ein andere adressierte seine Dankespost „an die Kartoffelgroßhandlung Otto Weidt“.
    Es war 1944, das fünfte Kriegsjahr. Fast täglich prasselte ein Feuersturm auf die Stadt nieder. Manchmal kamen die Bomber auf die Minute genau wie am Vorabend und luden ihre todbringende Last ab. Sie operierten fast ungehindert über der Stadt. Soldaten auf Heimaturlaub reagierten mit Entsetzen auf die Angriffe aus der Luft. Diese seien viel furchtbarer als alles das, was sie tagtäglich an der Front ertragen müßten.
    Der Splittergraben, ein öffentlicher Schutzraum, und daher auch für uns zugänglich, bäumte sich auf wie ein Schiff in starkem Seegang. Die Holztüren schlugen im Luftdruck lärmend hin und her. Das Krachen der herabstürzenden Bomben war ohrenbetäubend. Blitze zuckten. Der ganze Himmel war in Bewegung. Wenn der Bombenhagel abflaute, lugten einige vorsichtig aus dem Graben. Ihr Bericht war meist niederschmetternd. Im näheren Umkreis schien alles zu brennen. Als Entwarnung gegeben wurde, rannten alle durch den schwarzen Qualm der brennenden Häuser in Richtung ihrer Wohnungen. Einige Häuser brannten lichterloh. „Man kann sie doch löschen!“, riefen die Menschen verzweifelt aus. Doch ohne Widerhall. Es fehlte an Wasser. Die wenigen zur Verfügung stehenden Löschzüge der Feuerwehr wurden für nahe Gebäude der SS und des Oberkommandos des Heeres eingesetzt. Ich hörte das erste Mal Flüche gegen die Regierung: „Wohnungen von Frauen und Kindern, deren Männer und Väter an der Front das Vaterland verteidigen, sind offensichtlich nicht so wichtig“, schimpften sie. Doch dann gingen die Ausgebombten eiligst daran, einige ihrer Wertsachen und Dokumente aus den brennenden Wohnungen zu retten.
    Andere, deren Häuser nicht Opfer der Flammen geworden waren, hämmerten und nagelten sofort nach der Entwarnung mitten in der Nacht, um Pappe an die Stelle der geplatzten Fensterscheiben einzusetzen. Den Tag über sprachen sie von diesem Angriff, wohl wissend, daß am Abend mit großer Wahrscheinlichkeit der nächste folgen würde. Die nationalsozialistische Volkswohlfahrt beköstigte alle, die Adressen aus ausgebombten Häusern nachweisen konnten. Meine Mutter und ich fanden uns schnell im stündlich wachsenden Chaos zurecht. Es gab Bohnenkaffee und dick beschmierte Leberwurststullen – ein für das fünfte Kriegsjahr luxuriöses Angebot. „Sie haben Angst vor uns Ausgebombten“, hörte ich jemanden sagen. In Hamburg, auf das am 25. Juli 1943 einer der schwersten Luftangriffe des Krieges niedergegangen war und Tausende von Toten gefordert hatte, hätten Ausgebombte rebelliert. Es mag das Ziel der Alliierten gewesen sein, mit Hilfe der vernichtenden

Weitere Kostenlose Bücher