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Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen

Titel: Ueberleben als Verpflichtung - den Nazi-Moerdern entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Deutschkron
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Ziegenstall aus Beton, Fliegenfenstern und Holztüren und einem Herd aus roten Ziegelsteinen mit einer einzigen Kochstelle, die mit Holz gespeist werden mußte. Wärme strahlte sie allerdings nicht aus. Dieses Häuschen mit einem kleinen Schlafraum war offiziell als unbewohnbar gemeldet und darum für uns geeignet. Die Nachbarn liehen uns Betten, einen Schrank und ein paar Kochtöpfe.
    Die Propaganda der Regierung, die den Endsieg als Gewißheit versprach, war schal geworden. Die Menschen hatten zu zweifeln begonnen. Sie lauschten Gerüchten, hörten Spekulationen zu und machten sich ihre eigenen Gedanken. In der Anfangsphase der Naziherrschaft hatten viele die neue Politik unterstützt, ohne die verbrecherischen Absichten der Nationalsozialisten zu durchschauen. Das in Hitlers „Mein Kampf“ enthaltene Programm der NSDAP hatten nur wenige gelesen. Doch es klang gut, was sie über die Möglichkeiten zur Beseitigung der Not des deutschen Volkes hörten. So nahm die Mehrheit alles hin, glaubte auch, daß alles rechtens sei, selbst die Diskriminierungen und Entrechtungen der Juden und derer, die sich den Zielen der neuen Regierung entgegenstellten. Es war doch alles so einfach. Diese Regierung dachte und handelte für sie. Die Erfolge ließen dies zu. Das eigene Denken konnte abgeschaltet werden.
    Nun aber, da die Erfolge ausblieben, Niederlagen an der Tagesordnung waren, große Opfer vom Volk gefordert wurden, war ein Wandel spürbar. Hingeworfene Bemerkungen machten deutlich, daß die Menschen die von der Regierung propagierten Darstellungen der Lage nicht mehr so ohne weiteres hinnahmen. Es gab nur noch wenige, die nicht davon überzeugt waren, daß die Alliierten eines Tages eine Landung an der französischen Küste wagen würden, um Frankreich von den Deutschen zu befreien und auf das deutsche Festland vorzustoßen. Die schweren Luftangriffe bewiesen doch die Stärke der Alliierten. Die Frage, die die Menschen sich stellten, war, wann und wo die Invasion zu erwarten wäre. Die Argumente der Regierung, daß die Alliierten in einem solchen Falle eine schlimme Niederlage erleiden würden, klangen nur noch böse und schrill.
    Zur gleichen Zeit brach die Ostfront immer mehr ein. Das Führerhauptquartier in der Ukraine wurde von russischen Truppen erobert. Deutsche Armeen wurden aufgerieben, andere eingekesselt. Die Belagerung von Leningrad, die 900 Tage gedauert hatte, mußte aufgegeben werden. Die Zahl der Opfer stieg auf beiden Seiten ins Unermeßliche. Immer zahlreicher wurden die Benachrichtigungen, daß der Sohn oder der Ehemann für „Führer, Volk und Vaterland“ gefallen sei. Andere Briefe enthielten die Nachricht, der Sohn oder der Vater sei vermißt gemeldet. Es wurde in allen Fällen darauf hingewiesen, daß auf Trauerkleidung zu verzichten sei. Sie sollte offenbar das Straßenbild nicht stören.
    Aus sicherer Quelle behaupteten einige zu wissen, daß sich unter Offizieren der Wehrmacht Empörung breitmachte. Deutsche Soldaten würden so sinnlos geopfert. Trotzdem änderte sich nichts. Die Befehle, Verteidigung um jeden Preis und Verbot eines jeden Rückzugs blieben in Kraft. Sollte aus strategischen Gründen ein Rückzug zwingend werden, müßte das Prinzip der „verbrannten Erde“ in Anwendung kommen, also die vollkommene Verwüstung der zu verlassenden Gebiete. So ein Zusatz in deutlicher Sprache. Der sich zurückziehenden Armeen folgten die Einsatzgruppen der SS und führten dies auch aus – an Menschen und Material.
    Der Krieg beherrschte nun das Leben der Menschen bei Tag und bei Nacht. Bei Tagesanbruch versuchten sie, die Schäden zu reparieren, die die Bomber in der Nacht angerichtet hatten. Dann kam der Gang zum Kaufmann, nicht um etwas Bestimmtes zu kaufen, sondern um zu nehmen, was zu haben war. Die Auswahl war kleiner geworden, seitdem die Deutschen besetzte Gebiete hatten aufgeben müssen, in denen sie Produkte jeder Art zu requirieren pflegten. Anstehen gehörte nun meist dazu – für die Milch, die wegen der Bombenschäden auf den Straßen vom Umland nach Berlin nicht zur Zeit eintraf. Für Gemüse und Obst, die aus Mangel an Arbeitskräften knapper und einseitiger geworden waren, für Fleisch, das ohnehin nur noch in kleinen Mengen zu haben war.
    Für unsere Freunde wurde es schwieriger, uns auch noch mit ihren knapper werdenden Rationen zu versorgen. Schwarzmarktpreise waren nicht mehr erschwinglich.
    Pilze, die im Wald nahe unseres Ziegenstalles wuchsen, waren erst im Herbst eßbar.

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