Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
gehen und die heilige Höhle geöffnet bekommen. Doch das ist nichts, absolut nichts gegen den persönlichen Untergang, den langen Weg an den Wartenden vorbei wieder vom Felde ziehen zu müssen. Aussortiert, abgewiesen, wertlos. Kein Track aus House, Techno, Two Step oder Trance fällt Spezi ein, mit dem man diesen Gang der Schande stimmungsvoll unterlegen könnte, die Schritte des Parias auf Zeitlupe gestellt, das Bild in verwaschenes Grau getaucht. Nur ein paar Töne aus einer anderen musikalischen Welt, wie sie tieftraurig und Codein-verschlafen aus dem Piano fallen, während ein Glockenspiel sie hämisch umweht wie Schneeflocken in einer Nacht tödlicher Unfälle. »Video Games« von Lana del Rey würde zum Abgang dieses Aussätzigen passen.
»Lass den in Ruhe, nicht anfassen!«, hält Trouble Knuddel davon ab, den Geknickten durch Umarmungen zu trösten. Das ist taktisch notwenig. Sie vier gehören schließlich zu den Auserwählten, die auf der Überholspur reindürfen, und sollten sich nicht mit einem Abgewiesenen zeigen. Ihren VIP-Status besitzen sie einzig und allein durch Babbel, dessen kommunikative Fähigkeiten nicht nur anonyme Tänzer gelb aufleuchten lassen, sondern auch netzwerkbildend sind. Ohne ihn hätten sie wahrscheinlich keine Chance, die besprühte Stahltür zu passieren, hinter der sich das elektronische Paradies öffnet. Keiner von ihnen entspricht wirklich dem, was die Betreiber sich unter einem passenden Gast vorstellen. Keiner von ihnen ist wirklich wohlgeformt oder athletisch, zum T-Shirt-Ausziehen auf dem Dancefloor sind sie ungeeignet, und irgendein androgyner oder transsexueller Glamour geht ihnen ebenfalls ab.
Der Türsteher erkennt die vier sofort und gibt ihnen ein Zeichen, dass er erst noch einen Gast abfertigen muss, bevor er sich ihnen zuwendet. Kleinmütig und devot steht der junge Mann vor ihm. Gut gekleidet, keine ausgelatschten Turnschuhe, ein gewisser eigener Style ist zu erkennen, außerdem riecht er nach dem Parfüm, das angeblich die Nacht zum Tage macht. Der Türsteher tut sich schwer, überlegt, seine Lippenpartie verformt sich. Dann sagt er aber doch, was er immer sagt, wenn er eigentlich meint, dass ihm der Bewerber schlichtweg nicht passt: »Sorry, heute nur für Stammgäste.«
Er wendet sich ab und winkt die vier Marathonpartygänger hinein. Trouble flutscht als erster durch den Eingang, manisch auf der Suche nach neuen Eindrücken.
»Ach, und das sind Stammgäste, oder was?«, schimpft der Verschmähte, auf einmal gar nicht mehr so devot. Wütend zeigt er auf das hagere Kordelmonster sowie den Rest der Gruppe. »So sehen bei euch die Stammgäste aus? Tick, Trick, Track und der Zeitreisende aus dem Jahr 1995??? Wo bleibt euer viel gerühmter Stil? Wo bleibt der, Alter?«
Der Türsteher hebt seine schwingtürgroße Hand: »Nicht in diesem Ton, Freundchen. Und jetzt ab, aber ganz schnell!«
Der Giftzwerg geht, flucht leise, dreht sich noch mal um und spuckt dem Türsteher vor die Füße in der Annahme, danach erfolgreich flüchten zu können. Die Annahme lässt sich für drei Sekunden aufrechterhalten, dann liegt der Koloss auf dem kleinen Lama. Was er nun mit ihm macht, kann man nicht erkennen, da sein großer Körper alles verbirgt. Nur erstickte Schreie sind aus der Höhle zu hören, die der Sicherheitskörper bildet.
»Da«, sagt Babbel, »schon wieder ein Hinweis. Ein kleiner Typ ist in einem großen Kokon gefangen und wird von ihm verspeist. Die Matrix sendet uns schon die ganze Zeit Signale!«
Die Liveacts im besten Club der Stadt sind wieder mal Extraklasse. Gegen drei Uhr steht Loco Dice hinter dem Pult. Er steuert seine digitalen Tracks über zwei Plattenspieler mit Timecode-Vinyl an. Spezi ist aus dem Häuschen und erklärt Knuddel die gesamte Geschichte dieser Technologie, die Bauweisen der Geräte und die Konkurrenz zwischen den zwei Marktführern Serato und Native Instruments. »Obwohl, das muss ich auch sagen«, schiebt er ein, »wir sind hier im besten Laden des Landes, und die kriegen bei der Anlage immer noch die Mitten nicht ausgewogen hin. Merkst du das?« Knuddel merkt es natürlich nicht, nickt aber freudig, obwohl er nicht mal etwas verstehen würde, hörte er Spezi tatsächlich zu. Niemand, der nicht selbst als DJ arbeitet, wird jemals ernsthaft begreifen, wie es möglich ist, über zwei rotierende Schallplatten, die statt Tracks Zeitmarkierungen enthalten, die ganze digitale Musikbibliothek des Laptops anzusprechen. Aber es ist schön,
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