Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
versauten Gerüchte der anderen, die daraufhin die Runde machten.
Der dreißigste Geburtstag ist kein Klassentreffen. Das heißt, er ist nicht darauf angelegt, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Man kennt sich, man mag sich, man ist »der alte Kreis«. Draußen unter der Laterne stehen sogar Malte und Swantje, die seit zwölf Jahren miteinander flirten, ohne dass etwas passiert. Im Wohnzimmer allerdings, da wird es laut. Ein Stuhl rückt zu abrupt über die Echtholzdielen. Der Stuhl gehörte Judith. Er ist auf die Lehne gefallen. Nadine ist ebenfalls aufgesprungen. Die beiden Frauen stehen sich an beiden Enden des kleinen Glaswohnzimmertischs gegenüber und zeigen mit dem Finger aufeinander wie Verbrecher und Cops in einer verzwickten Pattsituation mit ihren Pistolen. Andreas lehnt im Türrahmen und schüttelt vor Vergnügen seine Dreadlocks. »Stutenkrieg«, sagt er, als die Gastgeber ihn fragend anschauen.
»Ich habe mir jede Minute Privatleben verkniffen, um dahin zu kommen, wo sonst keine Frau hinkommt!«, sagt Judith und funkelt Nadine an.
»Ach, du bist zum Mond geflogen?«
Judith schüttelt den Kopf. Aus ihrem Glas schwappt Wein auf den Teppich.
»Du warst doch schon sauer, dass ich damals überhaupt auf die Business School gegangen bin.«
»Ich war sauer, weil du dich nie gemeldet hast!« Nadine hebt die Hand wie zur Anrufung eines Gerichts. »Letzte Woche hat Sheela mit dem Laufen angefangen. Nora ist schon vier, und du kennst sie nicht mal. Das muss man sich mal vorstellen!«
Merke ➙ Ignoriere niemals die Kinder einer Freundin. Niemals. Auch dann nicht, wenn dir ein Wirtschaftsnobelpreis oder eine Präsidentschaft dazwischenkommt.
Judith hat ein schlechtes Gewissen wegen ihrer jahrelangen Abwesenheit, da kann sie sagen, was sie will. Jeder der Anwesenden kann ihre Schuldgefühle sehen, ihre Nase wird schon rot davon. Das ärgert sie. Im Geschäftsleben verliert sie niemals ihre Souveränität. Keiner der Platzhirsche in der Führungsetage hat sie bislang so aus der Fassung gebracht, wie es ihrer alten Freundin Nadine gerade gelingt.
»Ich musste alle meine Kinder alleine zur Welt bringen!«, setzt Nadine noch einen drauf, und Judiths Schamnase pulsiert. Sie weiß: Was ihr jetzt auf der Zunge liegt, sollte sie nicht sagen, aber sie tut es doch.
»Ja, und? Du wirfst doch sowieso jedes Jahr ein neues!«
»Du …«
Nadine sucht nach angemessenen Schimpfworten und ballt die Faust.
Judith hat wieder Oberwasser und tritt gnadenlos nach. »Gut«, sagt sie und hebt die Arme, als akzeptiere sie alles. »Jeder, wie er mag.« Ihr Blick wandert für alle sichtbar zu Nadines weitem Stretchhosenbund. »Wie man deutlich sehen kann, bist du in deiner Mutterrolle ja ordentlich aufgegangen.«
Andreas will lachen, hält sich aber zurück.
Tina hält sich die Hand vor die Stirn.
Und Michael, der eben schon wieder vom Spülgläsersex träumte, muss nun beobachten, wie sich der dreißigste Geburtstag seiner Freundin binnen Sekunden in ein Schlachtfeld verwandelt. Wie in Zeitlupe stürzt sich die Mehrfachmutter Nadine auf die Managerdompteuse Judith. Das Weinglas fliegt aus Judiths Hand und zerschellt am Boden. Nadine findet beim Ringen keinen Halt und stemmt ihren rechten Fuß auf die lose aufliegende Glasplatte des Wohnzimmertisches. Die Platte kippt und bringt alles ins Rutschen. Die Red Hot Chili Peppers spielen »Easily«, erzeugen damit aber auch keine Gelassenheit. Eine Stehlampe kommt ins Taumeln. Ein Vorhang reißt und schießt hölzerne Ringe wie Ninjasterne durchs Zimmer.
»Frauenwrestling«, sagt Andreas, »dass ich das noch erleben darf!«
Merke ➙ Wer den Lebensweg einer Frau angreift, stellt ihre ganze Identität infrage. Männer sind in diesem Fall zu faul, sich zu streiten. Sie holen auf einer Party nur aus, wenn man ihren Fußballverein beleidigt.
Fleißig verwandeln Judith und Nadine das wohltemperierte Wohnzimmer in eine Trümmerbude. Hätte Tina vor der Party nicht so gut geputzt, würden Glassplitter, Kleidungsfetzen und Zweige von Zimmerpalmen wie im Comic aus einer dichten, wirbelnden Staubwolke herausschießen. Nadine hat Judith gegen das Bücherregal gedrängt und quetscht ihr rechtes Handgelenk. Mit der linken greift Judith nach einem kleinen Buddha im Regal und versucht, ihn mit dem runden Kopf zuerst in Nadines Nase zu stecken. Bücher fallen aus dem Regal und verteilen sich auf dem Boden. Sie werden nicht mehr aufhören, ehe unser Haus dem Erdboden gleichgemacht ist, denkt
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