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Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)

Titel: Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann , Sylvia Witt
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Dirk schon damals im Freundeskreis Vorträge darüber hielt, dass man die Spekulanten und die Großbanken stoppen müsse. In solchen Momenten legte er den Controller beiseite, zog hastig an seiner Zigarette, auf dem WG-Fernseher fuhren die Monster Trucks in Endlosschleife weiter über die Staubpisten, und das Flimmern flackerte über das Gesicht Che Guevaras auf dem Poster von Rage Against The Machine. Sie waren die erste Generation, die es schaffte, gegen den Kapitalismus zu sprechen und dabei zu Videospielen der Sony Corporation Zigaretten des Weltkonzerns Philip Morris zu rauchen. Aber Arne muss sagen: Auf einer Party wie dieser hier hat er den Dirk bis heute nicht gesehen. Ohnehin hat er ihn lange nicht in der Heimatstadt erblickt. Dirk ist kein Muttersöhnchen, das seine Wäsche ins Elternhaus bringt. Er schreibt Arne regelmäßig Karten und Briefe, mit Papier und Marke, der alte Nostalgiker. Mails schickt er auch, aber die gehen immer in die Runde und sind Aufrufe zu Kampagnen oder weitergeleitete Artikel über irgendwelche Ungerechtigkeiten. Wenn Arne so darüber nachdenkt, fällt ihm auf, dass Dirk schon lange keine Links zu neuen Bands mehr sendet. Lieber einen mehr zu Occupy Wall Street oder der neuesten komplizierten Reform des Jugendschutzgesetzes.
    Der gute, stoische Dirk, jetzt sieht Arne ihn beim Auflegen schon vor sich, und die riesige Silhouette schwarz vor der roten Wand, tanzend mit einer kleinen Frau und ein paar Freunden, die ihn wie einen Totempfahl umringen. Arne wird müde. Er reibt sich die Augen und zieht sich eine neue Dose Red Bull aus der Palette unter seinem Pult. Er trinkt, mischt den nächsten Song rein, senkt wieder den Kopf und schaut nun in Dirks Augen, direkt über seinem Pult, beschwipste Äuglein hinter einem Kassengestell auf berggleichen Wangen.
    »Arne!!!«
    Arne weiß nicht, was er sagen soll.
    »Dirk …«
    Arne muss seine Gedanken sammeln. Das ist keine Einbildung. Das ist Dirk. Noch mal fünfzehn Kilo schwerer als früher und einen Meter größer, ein wenig gealtert durch die Arbeit mit der schwer erziehbaren Jugend. Tiefe Furchen von Nase bis Mundwinkel, wie der späte Mel Gibson, aber in den Augen immer noch ein Strahlen. Doch hier? Auf der 90er-Party?
    Dirk streckt seinen langen Arm über das Pult aus und klopft Arne vor die Schulter. Er sagt irgendwas. Arne sieht nur Lippenbewegungen. Dirk war sein Idol, bis heute. Dirk ist Kurt Cobain in Groß und ohne Selbstmord. Dirk ist produktive Weltwut und Sozialarbeit. Und jetzt ist er hier. Wahrscheinlich ein Absacker, zu dem Bekannte ihn überredeten, und er sagte: Gut, meinetwegen. Mein alter Kumpel Arne legt da auf und er spielt um die Zeit ja noch halbwegs akzeptables Zeug.
    So wird es gewesen sein. Bestimmt. Dirk ist nur hier, weil es schon spät genug ist, Gary Moore und R.E.M. zu spielen.
    »Arne!«, hört er Dirk lauter brüllen, und er beugt sich nach vorn. Jetzt hört er seine Worte. »Spiel doch mal Rednex! Hier, du weißt schon, ›Cotton Eye Joe‹.«
    Arne muss sich verhört haben. Oder verguckt. Das ist gar nicht Dirk, der da vor ihm steht. Nur ein pädagogischer Riese, der ihm sehr ähnelt.
    Er brüllt zurück: »›Red Flag‹ kann ich hier nicht spielen, das sind die Nullerjahre!«
    Dirk schüttelt lachend den Kopf: »Nicht Billy Talent mit ›Red Flag‹. Rednex. Der alte Hillbilly-Techno!«
    Arne hat sich nicht verhört oder verguckt.
    Das ist Dirk. Auf einer 90er-Party. Und er wünscht sich Rednex.
    Arne schluckt. Kramt die CD raus. Wartet noch einen Song. Dirk dreht sich zu seiner kleinen Freundin und den anderen Leuten um, die mit ihm gekommen sind. Er hebt die Daumen. Arne mischt »Cotton Eye Joe« rein. Die Menge jubelt. Hüpft. Johlt. Tanzt. Wie die Kinder. Und mittendrin Dirk, einst der Koloss der Konsequenz. Und jetzt? Ein Riesenbaby.
    No Limit! heißt die Party, Arne selbst hat sie so genannt.
    Doch als er nun Dirk, den alten Kampfrecken, ausgerechnet zu Rednex feiern sieht, da denkt er sich für einen Moment, dass er die Party vielleicht doch lieber Irgendwann kriegen sie uns alle! hätte nennen sollen.
    Zwei Minuten dauert Arnes Anfall herrischer Humorlosigkeit.
    Dann freut er sich. Zuerst im Bauch, ganz tief, wie ein Instinkt. Dann auch im Kopf. Er denkt: Den Frankfurter Straßenkindern ist es scheißegal, ob ihr väterlicher Freund privat Nirvana hört oder Rednex. Hauptsache, er ist immer für sie da. Arne kennt schwierige Fälle nur aus Die strengsten Eltern der Welt oder anderen Doku-Soaps,

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