Überleben auf Partys: Expeditionen ins Feierland (German Edition)
ungewollt zurück in den Fokus. Die Blicke richten sich auf mich. Ich höre auf zu wischen. Sebis Handy klingelt. Er hört einen Augenblick zu und sagt: »Nein, Mutter, ich will keine neuen Vorhänge. Auch nicht im Angebot. Ich kann jetzt auch nicht …«
Er legt auf.
Merke ➙ Die Güte eines Männerabends misst sich an der Kargheit der Kommunikation. Ein Männerabend, an dem die Länge eines Satzes fünfzehn Worte überschreitet, ist kein Männerabend, sondern ein Autorentreffen. Ein Männerabend, an dem über andere Männer getuschelt und gelästert wird, ist ein Männerabend, aber in einem ganz anderen Sinne und meistens in Köln. Ein Männerabend, an dem ausgiebig intime Probleme besprochen werden, ist eine außerhalb der Sprechstunden vereinbarte Sitzung zwischen Therapeut und Patient.
Knacken aus Bens Richtung. Er kaut an seinen Fingernägeln. Ich versuche das Geräusch zu verdrängen, konzentriere mich auf den Fernseher und höre die Vorteile der neuesten zweilagigen Slipeinlage von Carefree. Gibbel rülpst ungewohnt leise. Ich rieche Bier, Dönerfleisch, Zwiebeln.
»Ich bin echt nervös, ey«, sagt Sebi.
Mein Blick wandert durch die Runde. Ben hat begonnen, seine Daumen mit den Zähnen zu schälen. Gibbel schnippt erneut etwas von seinem Etikett in die Luft. Kleine Knubbel purzeln auf den Boden. Mir wird heiß, und ich überlege, ob ich mein Trikot ausziehen soll, verwerfe die Idee jedoch umgehend.
»Noch zehn Minuten …«
Bens Stimme lässt Gibbel den Kopf heben. Sebi und ich atmen laut aus. Schauen uns an. Ich will etwas sagen, doch ich lasse es. Stattdessen ziehe ich mit den Zähnen ein Stück Haut unter den Nägeln meines Mittelfingers ab. Blut kommt zum Vorschein. Es brennt, und ich frage nach Senf.
»Ben, gib mal den Senf rüber …«
Ben sieht mich an, beugt sich leicht nach vorn, greift nach der Tube und reicht sie mir. Sie ist fast leer, ich muss fest drücken, damit sich die gelbe Masse aus der Öffnung quetscht. Schärfe steigt mir in die Nase und brennt in den Augen. Ich streife eine kleine Portion ab und schmiere sie auf die Nägelränder meiner Mittel-, Zeige- und Ringfinger sowie auf die Daumen.
Sebi sagt: »Gib mir auch mal …«
Ich reiche ihm die Tube.
»Sonst hör ich nie auf zu knibbeln …«
Ich nicke, Gibbel nickt auch, und Ben hat nie damit aufgehört. Dann fällt mein Blick auf das Etikett von Bens Flasche. 1887 ist lange her, denke ich.
»1887 ist verdammt lange her«, sage ich.
Sebi schaut Richtung Fenster und sagt: »Alter, ich glaub, ich brauch unbedingt neue Vorhänge.«
»Und ich brauch unbedingt noch mal frische Luft …«, höre ich von rechts.
Ich schaue in Gibbels rötlich verschwitztes Gesicht und stimme stumm zu, indem ich aufstehe. Auch Gibbel steht auf, während sich Ben und Sebi mit ihren Blicken treffen.
»Wat is?«, fragt Ben
»Ja, nix!«, antwortet Sebi.
Dann sagt niemand mehr etwas und ihre Gesichter schwenken zurück zum Fernseher.
Gibbel und ich gehen langsam Richtung Wohnzimmerfenster.
»Eine rauch ich noch …«, sagt er.
Ich drücke den Hebel in die Mittelstellung, ziehe ihn zu mir und spüre eine leichte Brise auf meiner Haut. Gibbels Zippo klackt laut, als er es öffnet. Er dreht zweimal schnell am Rädchen, bevor eine Flamme aufsteigt, saugt am Filter, und ich sehe, wie der Tabak zu glühen beginnt. Wir beugen uns aus dem Fenster. Ich blicke auf das gegenüberliegende Reihenhaus. Aus dem linken unteren Fenster lugt eine Deutschlandfahne. Sie weht leicht im Wind. Rechts daneben hängt die Flagge Kroatiens. Ich schaue auf die anderen Häuser und erkenne die Farben Polens. Und der Ukraine. Und Russlands.
Was sagt die Wissenschaft? ➙ »Frauen konzentrieren sich bei gemeinsamen Zusammenkünften viele Stunden lang auf sich selbst und ihre Beziehungen untereinander«, sagt Professor Gundula Großkreutz vom Institut für grundsolide Geschlechterforschung (IfgG) in Gackenbach. »Dies führt automatisch in den Konflikt. Männer hingegen konzentrieren sich auf ein Ereignis, bei dem andere gegeneinander antreten und festigen dadurch ihre eigene Gemeinschaft. Ferner verringern sie die Möglichkeit eines Konfliktes dadurch, dass sie nicht sprechen.«
Gibbel stößt Rauch aus. Auf der Straße sieht man keine Menschen, nur zwei geparkte Autos. Die Bude etwas weiter links ist mit Brettern zugenagelt. Abseits donnert ein Schlagbohrer. Die Asche von Gibbels Zigarette segelt auf das Land unter uns. Er geht leicht in die Hocke, spreizt die Beine, und
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