Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
kategorisch zu formulieren, sondern sie zu relativieren.
Sie könnten dann folgendermaßen lauten:
I. »Die Welt um mich herum ist im Allgemeinen ein sicherer Ort.«
Ich tue alles für meine Sicherheit und begebe mich nicht unbedacht in Gefahrensituationen, die ich nicht überblicken kann. Trotzdem ist mir bewusst, dass es keine absolute Sicherheit gibt, auch mir oder meiner Familie könnte etwas passieren, womit nicht zu rechnen war. Auch wenn wir alles durchdenken und alle Unglücke auswerten, die jemals irgendjemandem widerfahren sind, kann uns jederzeit etwas Unerwartetes, vorher nie da Gewesenes passieren. Ein tragisch-skurriles Beispiel dafür erlebte ich vor kurzem in meiner Praxis: Eine Frau hatte sich angemeldet, die mir im Vorgespräch erzählte, sie sei schon immer sehr ängstlich gewesen und habe deswegen wenig außerhalb ihres Hauses und ihrer Arbeitsstelle unternommen. Dort habe sie sich einigermaßen sicher gefühlt. Sie saß arglos im Büro an ihrem Schreibtisch, als plötzlich eine Trennwand einstürzte und sie unter sich begrub. Sie überlebte schwer verletzt. Weil dieses unvorstellbare Ereignis ausgerechnet in dem Raum stattfand, den sie für sich als sicheren Ort definiert hatte, wurden ihre Grundannahmen fundamental erschüttert.
II. »Ich kann mein Leben (in gewissen Grenzen) vorausplanen und vertraue dabei darauf, dass es sich gerecht entwickeln wird.«
Aber es ist mir bewusst, dass sich Dinge vollkommen anders entwickeln können als geplant und dass ich nur einen Teil der Entwicklung selber beeinflussen kann. Ich nehme mir vor, offen zu sein für Dinge, die sich ganz anders entwickeln, als ich sie geplant hatte, sie anzunehmen und dann das Beste daraus zu machen.
III. »Ich bemühe mich, so gut ich kann, mich mit meinen Kräften für mein eigenes Wohl und das meiner Liebsten einzusetzen.«
Aber ich bin mir dabei meiner Begrenztheit bewusst. Ich kann nicht alles im Griff haben, und selbst wenn ich mich bis zum Letzten bemühe, alles richtig zu machen, ist mir klar, dass Fehler zum Menschsein gehören.
IV. »Mein Selbst ist wertvoll und bleibt es auch im Falle eines Schicksalsschlags.«
Wenn mich ein solcher treffen sollte, hat es nichts mit dem Wert meiner Person zu tun.
V. »Ich kann den meisten Menschen gegenüber Vertrauen haben und kann mich auf meine Einschätzung verlassen.«
Doch ich weiß, in jedem Land gibt es gute und schlechte, ehrliche und unehrliche, friedliche und aggressive Menschen. Aber auch mit dem Wissen, dass es Menschen gibt, die schreckliche Gewalttaten ausüben können, kann ich doch den meisten Menschen vertrauen. Blindes Vertrauen gegenüber jedem wäre naiv und unangemessen.
Mutmacher 1
Überprüfen Sie Ihre »lebenstragenden Grundannahmen«. Gestehen Sie es sich ein, wenn diese unrealistisch sein sollten, und versuchen Sie, angemessenere zu formulieren.
Zwischen tatsächlichen und scheinbaren Gefahren unterscheiden
In Zeiten der allgemeinen Verunsicherung erscheint es besonders wichtig, einen anderen Umgang mit Krisen zu finden und sich auf jene Stärken zurückzubesinnen, die die Menschheit bis heute am Überleben gehalten haben. Wir müssen sortieren und mit Mut die uns wirklich betreffenden wichtigen Aufgaben angehen. In unserer globalisierten Welt, in der so vieles auf den Einzelnen einstürmt, ist es zunächst einmal essentiell, bestimmte Dinge zu filtern und von sich fernzuhalten. Wir werden täglich mit unzähligen Eindrücken bombardiert und mit Situationen konfrontiert, die schlimm und belastend sind, die wir aber nicht beeinflussen können. Es ist für unsere Psyche nicht gut, sich jedes Problem aufzuhalsen und zu eigen zu machen. Dabei verbraucht man zu schnell seine Kräfte, die einem dann bei der Bewältigung einer eigenen Krise fehlen. Wir müssen also ein richtiges Maß finden zwischen den Dingen, bei denen sich ein Engagement lohnt, und denen, bei denen dies von vornherein verlorene Liebesmüh ist. Oder sprichwörtlich formuliert: »Gib mir die Kraft, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«
Diese »Weisheit« ist nicht ohne weiteres zu erlangen, aber man kann das trainieren. Um das Beispiel mit den Medien noch einmal aufzugreifen: Natürlich haben wir den Anspruch, informiert zu sein über das, was auf der Welt passiert. Doch vergeben wir uns tatsächlich etwas, wenn wir am Abend die Nachrichten nicht sehen? Ich
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