Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
meine, es ist angesichts der inflationären Berichterstattung über Krisen und Katastrophen tatsächlich manchmal besser, den Fernseher einfach auszuschalten. Wir können und sollen uns nicht unnötig mit schrecklichen Ereignissen belasten, bei denen wir nicht helfen können, die nicht die unseren sind. Das hört sich möglicherweise so an, als würde ich Egoismus propagieren, eine Ignoranz gegenüber den Problemen anderer Menschen. Das Gegenteil ist der Fall: Nur wenn ich meine Kräfte bündele, kann ich sie da viel effektiver einsetzen, wo es wirklich Sinn macht. Denn die Hilfe und Unterstützung anderer Menschen ist für Betroffene tatsächlich eine Quelle der Selbststabilisierung. Aber dazu später mehr.
Um diesen »Filter« in uns aktivieren zu können, müssen wir eine gewisse Risikokompetenz entwickeln. Also die Fähigkeit, zwischen tatsächlichen und scheinbaren Gefahren zu unterscheiden. Der Psychologe Gerd Gigerenzer, Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, hat in zahlreichen Untersuchungen festgestellt, dass wir uns in schwierigen Situationen eher von unseren Emotionen leiten lassen als von unserem Großhirn. Auf welche Weise wir uns dabei auch von unseren Ängsten dominieren lassen, führt er an der Reaktion vieler Amerikaner nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center aus. Nach dem 11. September 2001 flogen viele Amerikaner aus Furcht nicht mehr und nutzten stattdessen das Auto. In den folgenden zwölf Monaten erhöhte sich die Zahl der gefahrenen Meilen auf Autobahnen um bis zu fünf Prozent. In dieser Zeit gab es 1600 Unfalltote mehr als im Vor- und im Folgejahr. Menschen, die das Fliegen hatten vermeiden wollen und sich letztlich einem viel größeren Risiko ausgesetzt hatten.
Um unsere Risikokompetenz im Sinne von Gigerenzer erhöhen zu können, müssen wir uns darüber klar werden, welche Gefahren wirklich bestehen. Wir müssen uns frei machen von dem Effekt, der etwa durch sensationsheischenden und quotenorientierten Medienrummel entsteht. Die Presse übertreibt regelmäßig. Denken Sie an die Schweinegrippe, an die EHEC -Panik oder BSE . Die latente Gefahr einer Epidemie wurde zum Horrorszenario aufgebauscht, die prognostizierten Todeszahlen erreichten damals schwindelerregende Höhen. Die Hysterie half letztlich nur der Pharmaindustrie, die ihre Medikamente verkaufen will und ihren Teil dazu beitrug, Panik zu schüren. Doch nach einem kurzen Rauschen im Blätterwald war das Thema zumindest in den Medien schnell wieder verschwunden. Beim Leser oder Fernsehzuschauer blieb indes eine massive Verunsicherung zurück, manche Menschen reagierten panisch. Dabei ist das Risiko, bei einem Autounfall oder an den Folgen des Rauchens zu sterben, sehr viel höher als das, nach dem Verzehr einer EHEC -Gurke schwer zu erkranken. Eine solche Meldung bringt aber natürlich weniger Auflage. Wir werden nicht zuletzt durch die Medien dazu verführt, falsche Schlüsse zu ziehen, die falschen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, und werden immer unsicherer und ängstlicher. Risikokompetenz zu erlangen heißt also, das richtige Maß zu finden zwischen Panik, Ignoranz und einer sinnvollen Auseinandersetzung mit dem, was in der Welt geschieht. Je rationaler wir ein Problem analysieren, je weniger wir uns dabei von unseren Ängsten und Emotionen leiten lassen, umso größer ist die Chance, dass wir im Ernstfall richtig reagieren.
Auch in Gefahrensituationen einen klaren Kopf behalten
Eine weitere ebenso wichtige Fähigkeit, die wir für die Bewältigung tatsächlich eintretender Katastrophen dringend benötigen, ist die Krisenkompetenz . Also »die Fähigkeit eines Menschen, in einer konkreten, kritischen Situation mit einem angemessenen Verhalten zu reagieren«, wie Rosmarie Welter-Enderlin in ihrem Buch »Resilienz und Krisenkompetenz« schreibt. Da man zum Glück selten mehrfach hintereinander in die gleiche katastrophale Situation gerät und so kaum auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann, sollten wir versuchen, von jenen Menschen zu lernen, die derartige Extremsituationen bereits durchgemacht haben. Wenn wir uns bewusst damit auseinandersetzen, wie Andere angesichts einer Bedrohung gehandelt haben, stärkt das unser Vertrauen in die eigenen Bewältigungsmechanismen. Und mehr noch: Ich bin der Überzeugung, dass die Beschäftigung mit solchen Erfahrungswerten tatsächlich Menschenleben retten kann. Wer sich wiederholt mit den Schilderungen von Menschen in Extremsituationen befasst und
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