Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)
koppeln diese Eindrücke mit beruhigenden Selbstinstruktionen: »Ich bleibe ganz ruhig und gelassen!«, »Ich weiß, was zu tun ist!« oder: »Ich atme ruhig und bleibe cool!« Auf diese Weise umgeben sie ihre Psyche mit einer Art »Schutzhülle«, die sie ähnlich einem Taucheranzug überstreifen, der vor Unterkühlung und Verletzungen schützen kann.
In der Fachsprache nennt man diese Art der mentalen Vorbereitung »primäre Prävention«, die einsetzt, bevor eine Extremsituation auftritt. In der »sekundären Prävention« hingegen geht es darum, Personen, die traumatischen Stress bereits erlebt haben, frühzeitig psychologisch so zu betreuen, dass sie möglichst nicht unter langfristigen negativen Folgewirkungen leiden. Auf die Prinzipien dieser Präventiv-Betreuung und was wir daraus lernen können, wenn wir selbst mit Extremsituationen konfrontiert werden, werde ich später zurückkommen.
Grundsätzlich gilt, dass es sehr sinnvoll ist, sich psychisch auf potenzielle Stresssituationen vorzubereiten. Aus psychologischer Sicht kann es fatal sein, einer Konfrontation mit einer belastenden Situation, von der man weiß, dass sie kommen wird, aus dem Weg zu gehen. Nach dem Motto: »Das will ich mir gar nicht erst vorstellen, es wird sicher schrecklich genug werden!«
Zur Vorbereitung auf vorhersehbare Belastungssituationen, wie zum Beispiel einen komplizierten medizinischen Eingriff, möchte ich Ihnen Folgendes empfehlen: Stellen Sie sich das, was auf sie zukommen wird, genau vor – also Bilder, Geräusche, Gerüche, Empfindungen wie Kälte, Hitze, Schmerz. Versuchen Sie, die Situation und den negativen Stress anzunehmen. Trainieren Sie dafür positive Selbstinstruktionen wie: »Ich bleibe ruhig und entspannt!«, »Ich schaffe das, bald ist es vorbei« oder »Es ist in Ordnung so, wie es jetzt ist, ich komme klar damit«. Denken Sie nur in positiv verstärkenden Sätzen; negative Sätze und Verneinungen wie etwa »Ich habe keine Angst!« verstärken dagegen Anspannung und Furcht. Üben Sie tiefes und langes Ausatmen; es sollte etwa doppelt so lange dauern wie das Einatmen. Dadurch entspannt sich Ihr gesamter Körper. Kombinieren Sie das Atmen mit positiven Selbstinstruktionen, also zum Beispiel beim Ausatmen: »Ruhig – locker – entspannt«.
Allerdings sind selbst Einsatzkräfte, die sich intensiv und immer wieder auf Belastungssituationen vorbereiten, nicht davor gefeit, an ihre Grenzen zu gelangen und seelisch erschüttert zu werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die Wirklichkeit oft Szenarien bereithält, die man vorher nicht erahnen und insofern auch nicht durchspielen konnte. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Fall eines Patienten, ein Polizist, der mit seinem Kollegen zu einem Einsatz gerufen wurde. Eine Frau hatte in panischer Angst bei der Polizei angerufen und gesagt, sie und ihre Kinder würden von ihrem Ex-Mann bedroht. Er randaliere draußen vor ihrer Wohnung im Treppenhaus und sei mit einem Messer bewaffnet. Als die Polizisten im Haus ankamen, hockte der Mann im Treppenhaus auf einer Stufe, das Messer lag neben ihm. Die beiden Polizisten handelten genau so, wie sie es gelernt hatten: Einer ging auf den Mann zu und sprach ihn an, um die Personalien zu überprüfen; der andere stellte das Messer sicher. Die Waffe war beseitigt, die Gefahr schien gebannt. In dem Moment, als der Angesprochene vermeintlich seinen Personalausweis aus der Innentasche seiner Jacke holen wollte, geschah etwas Unerwartetes. Statt des Ausweises hielt er plötzlich einen Revolver in der Hand, zielte auf einen der Polizisten und schoss.
Der Polizist sank getroffen zu Boden, sein Kollege wurde knapp von einem zweiten Schuss verfehlt. Er zog seine Dienstwaffe, gab eine Warnung ab und schoss seinerseits. Dabei traf er den Täter tödlich.
Obwohl es sich eindeutig um eine Notwehrsituation gehandelt und er möglicherweise einen Mord an der Ex-Frau und den Kindern des Täters verhindert hatte, zeigte der Polizist eine extreme psychische Belastungsreaktion: Er litt unter starken Schuldgefühlen, einen Menschen getötet zu haben, grübelte immer wieder darüber nach, wie er die Situation anders hätte klären können, und wurde verfolgt von den Bildern des verblutenden Täters. Aufgrund dieser posttraumatischen Belastungsstörung konnte er seinen Dienst nicht länger ausüben und musste sich in eine traumatherapeutische Behandlung begeben.
Dieses Beispiel zeigt, dass der psychische Schutz, den man durch eine gezielte Vorbereitung
Weitere Kostenlose Bücher