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Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition)

Titel: Überleben oder Scheitern: Die Kunst, in Krisen zu bestehen und daran zu wachsen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Pieper
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zurückerobert. In der dialektisch-behavioralen Therapie nach Marsha Linehan heißt diese Haltung »radikale Akzeptanz« und meint damit das Annehmen der Realität, der schwierigen Situation im Hier und Jetzt. Erst wenn diese Akzeptanz stattgefunden hat, kann man effektiv und zielgerichtet handeln und eine Erleichterung der Lage anstreben. Diese durch und durch annehmende Haltung bezieht auch die eigenen Emotionen, Gedanken und Wünsche mit ein. Eine entführte Person sagt sich etwa: »Ich bin eine Geisel, lebe in einem Raum ohne Tageslicht, bekomme schlechtes Essen und habe Angst, dass ich hier nie wieder rauskomme. Aber so ist das eben, ich kann daran momentan nichts ändern!«
    Mit anderen Worten: Indem man nicht unentwegt gegen sein Schicksal ankämpft, sondern es akzeptiert, werden Kräfte frei, und es entstehen kreative Ideen, wie man sich kleine Erfolgserlebnisse verschaffen kann. Dazu später mehr.
    Manche Menschen erreichen diese Phase der Akzeptanz jedoch nie. Sie kämpfen immer weiter gegen ihr scheinbar unveränderliches Schicksal an und vergeuden dabei ihre Kräfte. Ein Betroffener, der so reagiert, würde sagen: »Es hätte nicht passieren dürfen, ich hätte bei der Entführung weglaufen müssen, ich muss hier raus, ich halte das nicht aus!« Er wird sich mit Selbstvorwürfen quälen und in eine immer tiefere Depression fallen, die auch massive körperliche Auswirkungen haben kann. Die Vernachlässigung der eigenen Ernährung, keine Regeneration durch Schlaf usw. – all das kann lebensbedrohlich sein, der Körper kann den Dienst verweigern, der Betroffene wird krank, dämmert nur noch vor sich hin. Einige amerikanische Soldaten, die während des Vietnamkriegs in Gefangenschaft geraten waren, starben auf diese Weise. Erst hatte die Psyche aufgegeben, dann war der Körper gefolgt.
Mutmacher 3
    Üben Sie sich immer wieder in »radikaler Akzeptanz«, wenn Sie mit Entwicklungen in Ihrem Leben konfrontiert sind, die sie (noch) nicht beeinflussen oder ändern können. Versuchen Sie in diesen Fällen, konsequent darauf hinzuarbeiten, das anzunehmen, was der Fluss des Lebens Ihnen bringt.

7. Das Notfallprogramm unserer Psyche
    Damit es zu einem derartigen Zusammenbruch gar nicht erst kommt, hält unsere Psyche ein erstaunliches Notfallprogramm bereit. Ob wir es allerdings aktivieren können, hängt davon ab, welche Grundhaltung wir in einer Extremsituation einnehmen: Hilfreich zum Verständnis der beiden unterschiedlichen Varianten Akzeptanz oder Ablehnung ist die Unterscheidung zwischen Schmerz und Leid. Schmerz ist ein Teil des Lebens und kann nicht immer vermieden werden. Im Gegenteil, manchmal müssen wir unangenehme Gefühle sogar ertragen; versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen, sie zu verdrängen, verlängert sich der Schmerz.
    Leid wiederum wird durch Schmerz und dessen Nicht-Akzeptanz hervorgerufen. Es entsteht, wenn Menschen an dem festhalten, was sie gewollt haben, und sich weigern, die neue Situation anzunehmen. Es ist sehr viel schwieriger zu ertragen als Schmerz, es lähmt uns und kann nur durch radikale Akzeptanz gelindert werden.
    Wenn Menschen es schaffen, eine annehmende Grundhaltung gegenüber einer – zumindest für den Moment – unabänderlichen schweren Situation einzunehmen, entwickeln sie erstaunlich kreative Ideen, um sich psychisch zu stabilisieren. Wenn ich traumatisierte Menschen frage, wie sie es geschafft haben, trotz einer extrem belastenden Lage zu überleben, fallen ihnen oft vermeintlich banale Dinge ein, die sie damals eher als unbedeutend abgetan hätten, die ihnen aber letztlich das Leben gerettet haben.
    Ausweg Phantasie
    Die beiden Libanon-Geiseln Heinrich Strübig und Thomas Kemptner befanden sich von Mai 1989 an exakt 1011 Tage in der Gewalt von Entführern. Diese wollten die in Deutschland einsitzenden Hamadi-Brüder freipressen. Strübig und Kemptner sahen die ganze Zeit über kein Tageslicht, sie waren in Kellern und dunklen Verliesen eingesperrt. Die hygienischen Verhältnisse waren unerträglich: Es war dreckig, es gab kaum Gelegenheit zur Körperpflege, zu essen bekamen sie oft nur ein Fladenbrot in den Kerker geworfen. Die beiden Männer waren aneinandergekettet und litten unter Durchfallerkrankungen. Als »Toilette« diente ein Blechkanister. Lange Zeit wussten sie überhaupt nicht, wer hinter der Entführung steckte und welchem Zweck sie diente, bis sie nach Monaten der Ungewissheit kurz vor Weihnachten gezwungen wurden, bei einem perversen Schauspiel

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