Überlebensübungen - Erzählung
Jean-Marie Action war keine Organisation, die im Verdacht stand, mit den Kommunisten zu sympathisieren, gewiss nicht!, aber andererseits stand sie als Buckmaster-Netz zwangsläufig in Konkurrenz zum gaullistischen BCRA , da sie direkt von den britischen Geheimdiensten des War Office abhing –, hatte »Passy« zugegeben und die Verantwortung dafür übernommen, dass er 1943 tatsächlich seinen Agenten den Befehl gegeben habe, Waffenlieferungen an die FTP möglichst vollständig zu verhindern.
Bis 1944, sagte er, bis zur Reise de Gaulles nach Moskau, bis zur Rückkehr von Thorez aus jenem Exil, jener Straffreiheit, als dieser seiner Partei auf Stalins Rat hin – der ein Befehl war – die Entwaffnung der sogenannten patriotischen Milizen aufzwang, waren sie, die Gaullisten und de Gaulle in erster Linie, der Meinung, die PC würde nach der Befreiung eine weit radikalere Politik betreiben, eine Art Strategie der »Doppelmacht«. In der historischen Konstellation der provisorischen Leere, nach Abzug der deutschen Besatzungstruppen, und bei der Ungewissheit, die durch die alliierten Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Verwaltung des befreiten Frankreichs entstanden waren, musste man auf den Versuch eines Gewaltstreichs gefasst sein.
Jahrzehnte später war die Diskussion mit Oberst »Passy« historisch und höflich gewesen, wobei der eine natürlich
den anderen mitzog. Im Übrigen konnte man im Nachhinein die gaullistischen Befürchtungen aus der Zeit der Befreiung angesichts der historischen Erfahrung in Mitteleuropa ohne weiteres verstehen.
Doch 1943, zwischen Auxerre und Montbar, nach einer Inspektionsreise vor Ort, nachdem ich »Tancrède« das traurige Los der meisten von der Geheimarmee im Hinblick auf den Tag der Landung gehorteten Waffen erklärt hatte, besaß unser Gespräch eine ganz andere Dimension.
Es war nicht entspannt, das ist das mindeste, was man sagen kann.
Es stimmt, dass dieser Oberleutnant von Frager, mutig, kultiviert, charmant – alles bis zum Wahnsinn! –, kein überzeugter Republikaner war, wenn die Verwendung der Litotes erlaubt ist. Die Republik war in der Tat nicht seine »Lieblingsspeise«, wie er selbst erklärt hatte. Paradoxerweise, zumindest auf den ersten Blick, schätzte er an der Französischen Revolution nur ihren jakobinischen Moment, also den unitarischen, zentralistischen Extremismus der Revolution, der sich dann so leicht in nationalistische und autoritäre Bestrebungen verwandelt, verkehrt hatte: zuerst imperial, dann kolonial.
Wie dem auch sei, »Tancrède« betrat den stattlichen Salon in der Avenue des Ternes an jenem Tag, an dem Henri Frager das Bedürfnis nach einem unüblichen Gespräch mit mir hatte.
Im Übrigen war ich neugierig, den Grund dafür zu erfahren.
Ich wurde sogleich in Kenntnis gesetzt: es gab keine Vorrede, keine vorsichtige oder indirekte Einleitung.
»Wissen Sie, was Sie erwartet, Gérard, wenn Sie von der Gestapo verhaftet werden? Haben Sie schon einmal daran gedacht?«
Fragers abrupte Frage traf mich nicht unvorbereitet. Ich meine: zwar war ich an jenem Morgen in dieser Form überhaupt nicht darauf gefasst, aber über diese Frage hatte ich bereits nachgedacht. Ich wusste sehr gut, dass ich höchstwahrscheinlich gefoltert würde, sollte mich die Gestapo verhaften, ob nun die deutsche oder die französische. In unseren Gesprächen fürchteten wir übrigens die französische mehr als die deutsche. Denn von allen Orten, die man in Paris meiden sollte, schien die Rue Lauriston, wo die französische Gestapo von Bonny und Lafont arbeitete, der bedrohlichste zu sein.
»Ich weiß, was mich erwartet, Paul«, hatte ich Frager geantwortet. »Ich erwarte, dass ich verhört, das heißt gefoltert werde!«
Er hatte genickt, zufrieden, sich Präliminarien, Umschweife, Umschreibungen ersparen zu können: wir kamen sofort zur Sache!
Folter, Verhör: ich hatte bereits mit den Verantwortlichen der MOI darüber gesprochen, die mich zu der Zeit »geführt« hatten, als eine Verhaftungswelle meine ersten Kontakte mit der Untergrundorganisation der spanischen KP in Paris unterbrochen hatte.
Ich hatte mit »Bruno«, mit »Koba« gesprochen.
Mit »Julia« allerdings war das Wort Folter nicht gefallen. Wir hatten einfacher über den Tod gesprochen. Aber »Ju
lia« war eine Frau, eine junge Frau mit hellen Augen. Schön, sicher auch zärtlich, bei Gelegenheit: es war vorstellbar. Es fiel ihr leichter, wenn ich so sagen darf, die reine Radikalität des
Weitere Kostenlose Bücher