Überman
mit den eigentlichen Techniken los. Wir lernen die Abwehr von geraden Faustschlägen, Würgegriffen und einfachen Messerattacken. Ich »sterbe« durchschnittlich dreimal pro Minute, weil ich keine einzige Technik kapiere. Daniela schon, sie ist ein wahres Talent, begreift blitzschnell und kämpft um ihr Leben.
Wir lernen sogar eine für Männer recht praktische Kneipentechnik: Was tun, falls man mal beim Pinkeln mit verschlossenen Augen am Pissoir geschubst wird. Mal abgesehen davon, dass ich erst nach acht Weizen so pisse, leuchtet die Technik ein: Wenn man geschubst wird, dann mit beiden Händen abstützen und gleichzeitig das Gesicht zur Seite drehen, damit man nicht mit der Nase aufschlägt.
»Okay, folks, one more time!«
Ein letztes Mal. Wir stehen an der Wand und tun so, als würden wir pinkeln, der Schubspartner steht dahinter. Mein Schubspartner ist Daniela. Sieht übrigens wirklich süß aus in ihrer oliv-weißen Sport-Kombi.
»Close your eyes. Prepare!«
Schade eigentlich, dass ich mit Daniela nie in die Kiste bin, damals beim Spanischkurs, denke ich mir, aber hey, so spielt das Leben, jetzt tunkt halt der dicke Flik seinen weißen Vorstadtpimmel in das süße …–
Ich knalle so schnell und heftig gegen die Wand, dass ich mich nicht mal mehr mit den Händen abstützen kann. Das Drehen des Kopfes vergesse ich komplett.
»Are you allright, Simon?«
Nach zehn Minuten fließt der letzte Tropfen Blut ins knallrote Waschbecken der Herrenumkleide, und ich kann die letzten Minuten des Probetrainings genießen. Der Sinn der letzten Camp-Übung ist ganz einfach: die anerzogene weibliche Scheu zu verlieren, richtig zuzuschlagen und zu treten, wenn es drauf ankommt. Find ich ja gut, eigentlich, wo so viele Einzeller mit dauerstrammer Fleischpeitsche durch die Gegend strunkeln. Das Problem ist nur: Der Leberkäse-Teenie ist nicht mehr da! Ich glaub, ich weiß warum. Weil er der Letzte im Zupf-Spiel war. Und ich … ich war der Vorletzte.
»Okay, Simon, go for it!«
Zitternd vor Überanstrengung ziehe ich mir den überdimensionierten Schutzhelm über den Kopf, dann steige ich in die Schaumstoffmontur. Ist die denn auch dick genug? Durch den Sehschlitz schaue ich in einen der Spiegel: Ich sehe aus wie die schwarze Version des Michelin-Männchens. Nach dem, was Megan den Teilnehmerinnen gesagt hat, kann ich nur beten, dass der Anzug hält, was er verspricht: Schutz! Jede Frau hat dreißig Sekunden lang Zeit, auf mich einzudreschen wie auf einen Sack Mehl. Noch bevor ich zählen kann, wie viele Frauen überhaupt hier sind, geht es los.
Drei Dinge fallen mir auf während der gefühlten drei Jahre, in der ich von jeder Frau vermöbelt werde. Erstens: Es gibt gar keine weibliche Scheu vor Gewalt. Zweitens: Der Schutzanzug taugt einen Scheiß, und drittens: Daniela ahnt, dass ich der Einbrecher mit der Wachsmalkreide war.
»Liebe! Frieden!«, schreie ich, doch es bringt nichts, und als ihre dreißig Sekunden um sind, müssen zwei Leute das wild um sich schlagende und schreiende Etwas wegziehen von mir. Taub, zuckend und schweißnass steige ich aus dem Schaumstoff. Am Ende klatschen alle, und weil Daniela und ich neu sind, bekommen wir ein Krav-Maga-Shirt geschenkt. Anziehen kann ich es leider nicht, weil ich meine Arme nicht mehr hochkriege.
Wenigstens bekomme ich ein Küsschen von Daniela. »Danke, dass du mit bist!«
Ich versuche zu nicken und lächle.
Als ich endlich in den bequemen Autositz fallen will, erinnert mich Phil via Fernverriegelung daran, dass ich ihm längst Kühlschrank und Gepäck hätte bringen sollen. Wenn ich nur das Auto nicht bräuchte! Mit letzter Kraft tippe ich meine Nachricht ins Handy.
Komme!
Klettspecht
Noch elf Wachblöcke
Skeptisch betrachtet Phil den surrenden Campingkühlschrank neben seinem Holzbett und nimmt einen Schluck Müllermilch Pistazie-Kokos. Er trägt eine neue, rote Jogginghose, ein graues Sweatshirt, ja er hat sogar seine Haare gewaschen. Und trotzdem hat er schlechte Laune.
»Rollstuhl geklaut. Auto geklaut. Und ich hasse Pistazie-Kokos!«
Ich sinke noch ein wenig tiefer in die einzige Sitzgelegenheit des Siebzigerjahre-Reha-Zimmers, einen grünbespannten Polstersessel.
»Also, Simon, wenn du die ganze Scheiße echt wiedergutmachen willst, dann musst du am Donnerstag aber echt ’ne Monster-Überraschung am Start haben.«
»Vergiss nicht, dass mich deine verdammten Pillen fast umgebracht haben.«
Grinsend wirft Phil den leeren Milchbecher in
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