Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Augen bekommen.
Als Jule noch »Kinderhände, zarte Hände«, ein modernes Kirchenlied, sang, stellte ich erleichtert fest, dass ich nicht die Einzige war, die mit den Tränen kämpfte.
Nach der Taufe feierten wir mit unseren Gästen zu Hause. Es war warm und sonnig, und wir konnten die meiste Zeit draußen im Garten sein. Da in meiner Familie das Essen immer das Allerallerwichtigste ist – es muss abwechslungsreich sein und schnell serviert werden –, artet üblicherweise jede Festivität in Stress aus. Bei zwölf Kindern und mindestens ebenso vielen Erwachsenen müssen etliche Kuchen gebacken werden. Kuchen sind nämlich auch ganz wichtig in unserer Familie, um ehrlich zu sein, sind sie ein integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens. Wenn meine Mutter Pflaumenkuchen backt, dann backt sie nicht wie jeder normale Mensch nur einen, sondern gleich fünf und friert drei dann ein. So kann es niemals zu einer Kuchenknappheit kommen – das wäre wahrscheinlich ein kleiner Supergau. Vor jedem Fest bin ich also mehrere Tage damit beschäftigt, einkaufen zu gehen, Kuchen zu backen und natürlich alles schön zu dekorieren, und beim Fest sind wir dann beinahe pausenlos am Spülen und Wegräumen.
Um diesem Wahn zu entgehen, bestellten wir dieses Mal unser Essen bei einem Partyservice. Und zum Glück war das Buffet köstlich, und das Fest wurde richtig schön. Dennoch war ich am Ende des Tages heilfroh, dass wir auch diese Taufe – gemäß unserer Familienplanung die letzte – erfolgreich hinter uns gebracht hatten.
KAPITEL 12
S o oft wie möglich, verabredete ich mich mit meiner Freundin Nora zum gemeinsamen morgendlichen Kaffeetrinken. Dass wir unsere Kinder fast gleichzeitig bekommen und beide Elternzeit genommen hatten, war einfach genial.
Kurz bevor Nora mit ihrem sieben Monate alten Max an diesem Morgen kam, las ich in der Zeitung, dass in einem Krankenhaus in Tschechien nach der Geburt zwei Babys vertauscht worden waren. Nach über zehn Monaten wurde die Verwechslung aufgedeckt. Beide Elternpaare waren extrem geschockt und unendlich traurig, planten dennoch zu Weihnachten einen Rücktausch der Kinder.
Diese Meldung weckte seltsamerweise keinerlei Erinnerung in mir – weder an meine Erlebnisse und Ängste im Krankenhaus nach Lenis Geburt noch an meinen scheußlichen Tagtraum damals im Garten. Für mich hatte diese Geschichte null mit mir und meinem Leben zu tun. Nichts, aber auch gar nichts blitzte in meinem Kopf auf. Ich fand das Gelesene einfach nur unglaublich!
Und so fragte ich Nora, nachdem wir es unseren Babys im großen Laufstall gemütlich gemacht hatten: »Hast du schon mitgekriegt, dass in Tschechien zwei Babys vertauscht wurden?«
»Ja, ich hab’s in der Zeitung gelesen«, antwortete sie. »Krass ist das. Ich könnte den Max doch jetzt nicht mehr hergeben.«
»Ich die Leni auch nicht«, beteuerte ich.
Wir schauten auf unsere Kinder, die beide fröhlich vor sich hinquiekten, und schüttelten bei dem Gedanken fassungslos den Kopf. Dann fingen wir an, uns das Unvorstellbare auszumalen.
»Stell dir mal vor, du würdest nun plötzlich ein anderes Baby haben. Und das würde ganz anders aussehen und ganz anders riechen als deins«, sagte Nora.
»Man liebt doch sein Kind und hat sich aneinander gewöhnt. Da kann man sich doch nicht wieder trennen. Also nein, das geht gar nicht«, antwortete ich.
Wir beendeten unser Horrorszenario mit der übereinstimmenden Feststellung »Umtausch ausgeschlossen!«, lachten kurz über unser geistreiches Schlusswort und gingen dann unbekümmert zu einem anderen Thema über.
KAPITEL 13
W ahrscheinlich ist es immer so, dass der letzte Tag vor einem Schicksalsschlag besonders gut in Erinnerung bleibt – er macht den Einschnitt im Leben deutlicher. Bei uns war dies der Nikolausabend.
Meine Eltern und Schwiegereltern, meine Schwester Michaela und ihr Mann Martin mit ihren Kindern Ann-Kathrin und Tom und Lenis Patentante Nicole kamen vorbei. Zuerst gab es Kaffee und Kuchen. Gegen achtzehn Uhr klingelte es dann pünktlich. Die Kinder und ich rannten zur Haustür, Yara öffnete, und vor uns stand der Nikolaus mit – nein, nicht mit Knecht Ruprecht, sondern mit seinem Chauffeur. Einen Chauffeur braucht unser Nikolaus deshalb, weil er in dem einen oder anderen Haus ein Schnäpschen beim Rausgehen ausgeschenkt bekommt. Der Chauffeur bleibt im Flur stehen und nimmt die Spenden in Empfang. Man kann sich vorstellen, wie fröhlich der Nikolaus nach all den Hausbesuchen
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