Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
habe mich immer gefragt, wie sie das alles schaffte, und sie bei den Nachbarn verteidigt, wenn diese über ihren chaotischen Garten lästerten.
Unbedarft, wenn auch mit einer gewissen Sensationsgier in den Zwischentönen, berichtete sie mir, welch ungeheuerliche Nachricht sie gerade im Videotext gelesen hatte.
»Stell dir mal vor, in einer Saarlouiser Klinik sind zwei Babys vertauscht worden.«
Wosch! Ich dachte, mir zieht jemand den Boden unter den Füßen weg! Was ich in dem letzten halben Jahr komplett verdrängt hatte, war innerhalb von einer Millisekunde und umso deutlicher vor meinen Augen. Alles war wieder da, mit einer ungemeinen Intensität. Ich spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Zitternd und wie ferngesteuert schaltete ich den Fernseher an und klickte auf den Videotext, während ich Irene fragte, ob es Mädchen gewesen seien. Sie bejahte! Da ich immer die Sportnachrichten im Videotext anschaue, bin ich in der Bedienung sehr flink.
Und tatsächlich! Da stand es: »In einem Saarlouiser Krankenhaus sind zwei Babys nach ihrer Geburt vertauscht worden. Der Fall hat sich bereits vor einem halben Jahr ereignet. Die Verwechslung der beiden Mädchen kam erst jetzt nach einem Gentest ans Licht. Nach dem zweiten Elternpaar wird derzeit gesucht.«
»Irene, ich muss jetzt auflegen. Mir ist todschlecht, ich kann nicht mehr reden.«
Irene hatte anscheinend keine Sekunde daran gedacht, dass uns diese Nachricht persönlich betreffen könnte. Sie wollte mir einfach nur eine krasse Nachricht aus unserem kleinen Bundesland überbringen. Im schlimmsten Fall wäre es so gewesen, dass einer von uns beiden jemanden gekannt hätte, der eine der betroffenen Familien gekannt hätte – typisch für das kleine Saarland eben.
Ich stammelte noch etwas davon, dass wir in der gleichen Zeit entbunden hätten, und legte auf. Meine Panik stieg ins Unermessliche, und ich fing an, hysterisch zu heulen. Ich bekam einen Flashback nach dem anderen: Wie ich mit Schwester Marion im Säuglingszimmer stehe: »Das kann nicht Ihres sein.« Die irritierte Kinderärztin: »Da muss sich die Hebamme im Kreißsaal verwogen haben.« Die starke Neugeborenenakne in Lenis Gesicht, ihr auffallend dunkler Teint …
»Ich hatte recht, mein Gott, ich hatte recht!«
Da klingelte das Telefon erneut. Ich erkannte sofort die Nummer. Es war die Nummer der Klinik! Die Klinik war ein großer Kunde von dem Labor, in dem ich selbst jahrelang gearbeitet hatte. Deswegen kannte ich die Nummer auswendig.
»Das gibt’s doch nicht, jetzt rufen die schon an!«, redete ich verzweifelt mit mir selbst, völlig überrannt von der Rasanz der Ereignisse.
»Wenn die Klinik bei mir anruft, dann ist doch klar, dass die mir mein Kind wegnehmen wollen« – so meine Schlussfolgerung. »Aber das werde ich nicht zulassen. Die brauchen mir gar nichts zu erzählen. Die können mich mal!«, bestärkte ich mich selbst.
Die Klinik war nun mein Feind. Ich hatte nur wenige Sekunden, um mich innerlich auf das Gespräch vorzubereiten. Ich musste auf der Stelle aufhören zu weinen, nur so konnte ich stark wirken.
»Klos«, sagte ich mit Eiseskälte in der Stimme.
»Ja, hier Prof. Scherer. Frau Klos, es geht darum …«
»Ich weiß, worum es geht«, unterbrach ich ihn sofort. »Dass zwei Kinder vertauscht wurden.«
»Ach, Sie wissen schon davon?«
»Ja, ich habe es gerade erfahren. Ich hab’s im Videotext gelesen, und eine Bekannte hat mich angerufen.«
»Ach so. Also es geht jetzt darum … es ist ja überhaupt noch nichts sicher …«, druckste er herum.
Dann rückte er endlich mit der Sprache heraus. »Sie sind eines von den vierzehn Elternpaaren, und Sie haben jetzt die Möglichkeit, sich testen zu lassen. Dafür müssten Sie hierherkommen und sich eine Speichelprobe abnehmen lassen.«
»Nein, das brauche ich nicht«, antwortete ich schnippisch. »Die Leni ist mein Kind! Und ich lasse überhaupt nichts testen! Das ist ganz klar und eindeutig mein Kind.«
»Ich kann Ihre Reaktion gut verstehen, Frau Klos«, sagte er ganz ruhig und langsam. »Es ist ja auch nur ein Angebot, ich möchte Sie zu nichts zwingen.«
Wahrscheinlich merkte er, dass ich in Wirklichkeit kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.
»Ja gut, dann ist das ja okay. Ich möchte keine Speichelprobe. Außerdem ist mein Mann jetzt nicht da, ich müsste es ohnehin erst mal mit ihm besprechen.«
»Genau. Sie haben Zeit, Sie müssen das auch nicht sofort entscheiden.«
»Gut. Dann war es das jetzt.
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