Überraschung kommt selten allein
»das ist ja der Punkt. Es ist nicht mehr mein Zuhause.«
»Wie du meinst. Du hast einen Schlüssel, und was mich betrifft, kannst du kommen und gehen, wie du willst. Du brauchst meine Erlaubnis nicht.«
»Danke. Übrigens, das Mädchen, mit dem ich koche, Jo, ist ein Fan der Kerne der Persephone.«
»Richte ihr aus, dass sie einen hervorragenden Geschmack hat.«
»Mache ich. Tschüs dann, Tony.«
»Bis bald, Bertie.«
Sie fragte sich, wie bald sie ihn wiedersehen würde. Sie wünschte, er wäre nicht so entgegenkommend gewesen. Sie war fast wütend auf ihn. Wie sollte sie aufhören, ihn zu vermissen, wenn er so nett zu ihr war?
Am Montagmittag kam sie am Bahnhof in Bath an und ging, den Koffer hinter sich herziehend, zu Fuß zu ihrem einstigen Zuhause. Am Himmel türmten sich dicke, graue Wolken, aus denen es halbherzig auf die Stadt nieselte. Selbst unter diesen entmutigenden Bedingungen waren die langen Reihen georgianischer Häuser atemberaubend schön. Das Haus in Brixton und das Gewerbegebiet in Vauxhall wirkten dagegen wie die wenig überzeugende Kulisse für ein noch weniger überzeugendes Stück, in dem die müde Heldin endlose Miniportionen Yorkshirepudding produziert, während sie versucht, ihre Zuschauer davon zu überzeugen, dass sie wagemutig und furchtlos neue Wege beschreitet.
Die Chrysanthemen am Tor blühten, und die Hauswand war übersät mit den leuchtend blauen Blüten der Clematis. Alberta bewunderte sie, ehe sie den Schlüssel herausholte und sich ins Haus ließ.
Auf dem Dielentisch lagen zwei Zettel für sie. Auf einem lud Lionels geschwungene Schrift sie zum Mittagessen ein. Der andere war von Tony und besagte schlicht: »Bertie, dein Mantel ist in der Waitrose-Tüte in der Küche.«
Sie konnte sehen, dass Tony im Garten gearbeitet hatte. Seine schlammverschmierten Stiefel lagen unter dem Tisch, und die Erdkrümel darum herum hätten leicht zwei Kehrschaufeln gefüllt. Sie stellte den Koffer neben der Tür ab und ging in die Küche. Angesichts der strikten Regeln in ihrem Beruf hatte Alberta die Küche immer makellos sauber gehalten. Jetzt war sie nicht makellos. Die Sonntagszeitung lag ausgebreitet auf dem Tisch neben einer Schachtel Cornflakes, einem halbvollen Becher eiskalten, schwarzen Kaffee und einer fast leeren Packung Margarine. Sie stellte die Margarine in den Kühlschrank zurück und runzelte die Stirn, als sie den Inhalt sah. Es war nichts drin, außer einem Schälchen mit Hummus, einer Packung Orangensaft und einer verrunzelten Karotte. Sie machte den Kühlschrank wieder zu und überflog die Spüle und den Abtropfkorb und wusste, sie konnte unmöglich zu Lionel hinübergehen, ohne sie vorher geputzt zu haben.
Als sie schließlich an seine Tür klopfte, wurde sie mit einer herzlichen Umarmung empfangen. »Mein liebes Mädchen«, sagte er, »was für ein Vergnügen! Evie ist auf einem Kongress in Bournemouth und lässt grüßen. Ich habe meine Spinatsuppe für dich gekocht! Komm doch herein!«
Während des Essens erfreute Lionel sie mit der Geschichte von seinem jüngsten Sieg über seinen alten Sparringspartner Arthur Quiggleton. Lionel hatte nach eigenem Bekunden einen außergewöhnlich schlagkräftigen Vortrag gehalten, in dem er ohne jeden Zweifel bewiesen hatte, dass Jean-Paul Sartre genauso viel von Philosophie verstand wie von Treue. Arthur war von Lionels Argumenten so erschlagen gewesen, dass er wortlos aus der Versammlung geschlichen war, und als er am Samstag Tony in der Stadt traf, hatte er …
»Wie geht es Tony?«, fragte Alberta und wünschte, sie hätte es nicht getan, als Lionel seufzte und sagte: »Es geht ihm ganz gut, meine Liebe, aber er ist verloren … Wie nennen die Franzosen das, wenn sie sich überflüssig fühlen? Er hat seine joie de vivre verloren! Ich wünschte, du würdest nach Hause kommen, altes Mädchen, du fehlst uns wirklich! Du fehlst uns allen!«
Alberta spielte mit dem Stück Brot auf ihrem Teller. »Ihr fehlt mir auch, aber …«
»Was ich nicht verstehe«, sagte Lionel, »ist, wie das alles geschehen konnte. Ich meine, normalerweise erkennt man die Zeichen: A bringt B nicht mehr so oft zum Lachen. B hört auf, mit A zu reden. A schaut sich nach jemand anderem um, B tut dasselbe, und B verliebt sich in C, der schon lange nicht mehr mit D redet, und zack, ehe man es sich versieht, ist eine Ehe gescheitert. Aber du und Tony wart immer gern zusammen, und dann trennt ihr euch auf einmal. Es ergibt einfach keinen Sinn.«
»Wir
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