Überraschung kommt selten allein
mittleren vier verglaste Dampfbäder, die mit natürlichen Ölen versetzt waren. Auf dem Dach lud ein Open-Air-Pool mit einem atemberaubenden Blick über die Stadt und die Landschaft zum Baden ein. Der perfekte Ort, um mit Freundinnen zu schwatzen oder mit dem Liebsten zu schmusen.
Für zwei Halbbrüder, die sich noch nie verstanden hatten, war er weniger perfekt. Jacob stand teilnahmslos in der Schlange an der Kasse, während Dylan ihm lautstark erklärte, was an seiner Hose und seiner Jacke verkehrt war. Alberta verfluchte Tony innerlich, weil er den Ausflug vorgeschlagen und sich dann davongemacht hatte.
Dylans gute Laune bekam einen Dämpfer, als er sich den Hightech-Spinden gegenübersah, in denen man seine Kleider verstaute. Alberta hatte ebenfalls Schwierigkeiten mit den Schränken, und als Jacob mit der Leidensmiene des ewig Geduldigen zu ihrer Rettung erschien, verspürte sie erstmals so etwas wie Verbundenheit mit ihrem Stiefsohn. Bis Dylan das Handtuch von seinen Lenden löste und eine rote Badehose mit dem Schriftzug F*** OFF auf den Hinterbacken enthüllte.
Sie fühlte sich besser, als sie den Bäderbereich betraten und sie in das warme Thermalwasser glitt. Jacob verschwand sofort im Whirlpool, während Dylan sich unter dem Wasserfall vergnügte, der aus einer Stahlröhre am Beckenrand schoss. Einige Minuten lang genoss Alberta das Gefühl, im Wasser zu treiben, während leise, entspannte Gespräche beruhigend um sie herum summten. Dann hörte sie eine laute, vertraute Stimme mit einem Ruf die Luft zerschneiden: »Hey, Jacob, komm mal HER !«
Jacob, der in den sprudelnden Bläschen planschte, erstarrte und versuchte anfangs, das Rufen seines Halbbruders zu ignorieren. Schließlich, über das erträgliche Maß gereizt, setzte er sich widerwillig in Bewegung und gesellte sich zu Dylan unter den Wasserstrahl. Sauer über Jacobs lahme Versuche, im Wasser herumzutollen, kam Dylan kurz darauf zu Alberta und sagte, er sei bereit für die nächste Etage.
Alberta hatte nicht das Gefühl, dass ihr das Dampfbad ein Stockwerk höher gefallen würde. Trotzdem folgte sie Dylan in die erste Kapsel, ausgewiesen als »Kiefer«, und war nicht überrascht, als Jacob in eine andere raste. Drinnen hockte sie sich neben Dylan. Es saßen noch sechs weitere Personen darin. Zwei davon waren Frauen mit geschlossenen Augen, die aussahen, als meditierten sie; die anderen vier gehörten zusammen und unterhielten sich leise miteinander, als wären sie in einer Kirche.
Dylan wischte sich die Stirn mit der Hand ab und sagte laut: »Ich wette, das Ding ist total unhygienisch.«
»Oh, das glaube ich nicht«, flüsterte Alberta und wünschte, er würde leise reden.
»Jede Wette«, sagte Dylan. »Es ist richtig heiß und feucht hier drin. Ich wette, hier wachsen und gedeihen alle möglichen Keime. Ich meine, ich hatte letzte Woche eine Grippe. Ich wette, meine Keine schwirren hier überall herum.«
Die beiden Frauen, die vielleicht meditiert hatten, öffneten die Augen und richteten den Blick auf Dylan.
»Ich bin mir ziemlich sicher«, sagte Alberta bestimmt, »dass keinerlei Keime verbreitet werden, wenn du im Endstadium einer Grippe bist.«
»Da irrst du dich«, sagte Dylan mit einem autoritären Kopfschütteln. »Ich kann beinahe fühlen, wie sich meine Keime in der Atmosphäre ausbreiten.«
Die beiden Frauen, die vielleicht meditiert hatten, wechselten einen Blick, standen wie auf Kommando auf und verließen die Glaskabine.
»Wie auch immer«, sage Alberta, »dieser Ort ist dazu gedacht, Gesundheit zu spenden. Niemand würde einen Raum konstruieren, in dem Keime gedeihen können, selbst«, fügte sie betont hinzu, »wenn es deine Keime sind.«
»Ich habe gehört, dass Dampfbäder gar nicht gut für uns sind«, sagte Dylan. »Ich finde, wir sollten eine Etage höher gehen.«
»In Ordnung.« Alberta erhob sich und ging hinaus – und hörte sehr wohl den Seufzer der Erleichterung hinter sich. Beim Kauf der Eintrittskarten hatte man ihr gesagt, sie dürften maximal zwei Stunden bleiben. Bei dieser Geschwindigkeit wären sie in zwanzig Minuten wieder draußen. Sie holte Jacob aus dem Weihrauchbad, und zu dritt machten sie sich auf den Weg aufs Dach.
Was fantastisch war. Sogar Jacob fand es fantastisch. Und Dylan auch. Ein glitzernder blauer Pool unter einer strahlenden Sonne und einem klaren Himmel mit Blick auf die Abtei und die Hügel von Bath – es war schlichtweg umwerfend. Breit grinsend stiegen sie ins Wasser. Eine
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