Überraschung kommt selten allein
Mann akzeptiert hätte, aber drei seien eindeutig zu viel verlangt gewesen von einer so stolzen Frau.
Am Donnerstagabend ging Alberta mit klopfendem Herzen zu ihrer Pilatesstunde und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, weil Erica nicht da war. Am Freitagmorgen erhielt sie ein höfliches Schreiben von Graham, in dem er sich für einen »anregenden« Abend bedankte; danach fühlte sie sich nur noch elender.
Am Abend tauschte sie Jeans und Sweatshirt mit einem Rock, ehe sie zum Bahnhof fuhr, um Tony und Dylan abzuholen. In Anwesenheit ihres Stiefsohns trug Alberta neuerdings immer einen Rock. Vor zwei oder drei Jahren hatte er mit Blick auf ihre Kordhose abrupt gesagt, dass nur Frauen mit dicken Beinen Hosen anziehen würden. Alberta mochte klein sein und Haare haben, die nie so saßen, wie sie sollten, aber sie hatte gute Beine. Heute Abend zog sie einen Jeansrock und ein blau-weiß gestreiftes Top an.
Beide trugen Jeans, Sweatshirt und Turnschuhe, als sie aus dem Bahnhof traten. Der einzige Unterschied war nur, dass Dylans Turnschuhe vermutlich hundert Pfund mehr gekostet hatten als die seines Vaters. Alberta stieg aus dem Auto und sagte fröhlich, wenn auch scheinheilig: »Dylan, wie schön, dich zu sehen.«
»Hi, Bertie«, sagte Dylan und reichte ihr seine Kameratasche. »Du hast den gleichen Rock an wie die Frau da drüben.«
Alle drei sahen zu der Frau da drüben. Sie trug tatsächlich einen Jeansrock. Und sie trug eine graue, zerknitterte Strumpfhose und ein schmutziges T-Shirt, und ihre langen, fettigen Haare klebten wie Öl an ihrer Kopfhaut. »Was für ein Zufall! Wollen wir fahren?« Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie Tony, der so liebenswürdig war, einen Sohn produzieren konnte, der es nicht war. Nach einem besonders unangenehmen Abend vor ein paar Monaten hatte Tony gesagt, dass Dylan seine Abneigung gegen die zweite Familie seines Vaters nie überwunden habe. Alberta antwortete, das verstehe sie. Sie verstand es auch, aber sie fand trotzdem, dass es höchste Zeit für Dylan war, sich endlich damit abzufinden.
Während Alberta nach Hause fuhr, redete Tony, wie immer in Gegenwart seines älteren Sohnes, mit leicht übertriebenem Enthusiasmus über das Wochenende. »Ich habe Dylan versprochen, dass ich ihn am Sonntagvormittag in Bath herumfahre und ihm ein paar Plätze zeige, die ihn für seine Fotos interessieren könnten. Und morgen, dachte ich mir, könnten wir alle zusammen ins Bath Spa gehen. Das wird Jacob gefallen. Der Blick von dem Schwimmbecken oben auf dem Dach soll großartig sein.«
»Was für eine wunderbare Idee«, begeisterte sich Alberta. »Da will ich schon seit einer Ewigkeit hin. Diana war vor Weihnachten mit ihrer Schwägerin dort und sagt, sie redet von nichts anderem mehr. Wie aufregend!«
»Schrecklich aufregend«, sagte Dylan in einem Tonfall, bei dem sich Alberta innerlich krümmte. Der Abend, dachte sie düster, wird sehr, sehr lang werden.
Tatsächlich war es gar nicht so schlimm. Nur Alberta bemerkte, dass Jacob die Aussicht, den morgigen Nachmittag im Bath Spa zu verbringen, ganz und gar nicht aufregend fand und dass er, je weiter der Abend fortschritt, zunehmend stiller wurde. Fairerweise musste man sagen, dass es schwierig war, etwas anderes zu sein. Dylan hatte die Kunst der Konversation noch nie verstanden und redete entweder endlos auf die Leute ein oder sagte kein Wort. Heute Abend holte er kaum Luft. Sein Vater und sein Großvater lächelten nachsichtig und genossen ihren Wein, während Evie gelegentlich ein »Sehr gut, Dylan!« oder »Das ist ja wunderbar, Dylan!« einwarf.
Dylan ließ sich über sein jüngstes Projekt über Londons Brücken aus, über das Lob, das er dafür von seinem Tutor bekommen hatte, das Lob, das ihm seine Kommilitonen gezollt hatten, den berühmten Popstar, mit dem er jetzt im Pub um die Ecke gut befreundet war, und die drei Clubs, die derzeit seine Lieblingstreffpunkte waren.
Dylan zuzuhören war für Alberta, als läge sie am Strand und versuchte, den Ghettoblaster hinter sich auszublenden. Dylans Worte klangen immer so, als hätte er darauf herumgekaut, bevor sie wie ein monotones Bellen aus seinem Mund schossen. Und trotzdem war sie dankbar, dass er wenigstens gute Laune hatte.
Erst beim Nachtisch wurde die Stimmung ein wenig angespannt. Nachdem Jacob seine Zitronentarte in Rekordzeit verschlungen hatte, stand er auf und verkündete mit überzeugend vorgebrachtem Bedauern, dass er jetzt hinaufgehen müsse, um zu
Weitere Kostenlose Bücher