Überraschung kommt selten allein
dauerte. In den sechs Wochen seit Großvaters Tod war ihre Mutter eindeutig zunehmend verschlossener geworden.
Später, als Hannah nach Hause lief, dachte sie darüber nach, was für Auswirkungen der Tod ihres Großvaters auf die Familie hatte. Natürlich war es ärgerlich – sehr ärgerlich – zuzusehen, wie aus ihm eine lächerliche Gestalt gemacht wurde: ein alter Rentner, der die Finger nicht von zweifelhaften Frauen und noch zweifelhafteren Sexpraktiken lassen konnte. Es war ärgerlich, dass er ein geheimes Leben hatte, das keinerlei Ähnlichkeit mit dem Leben des Mannes hatte, den sie alle kannten. Aber wenn Hannah eins in den letzten Wochen gelernt hatte, war es, dass die meisten Menschen Geheimnisse hatten und dass man von niemandem zu viel erwarten durfte. Und wenn es für ihre Mutter schwer war, wie viel schwerer war es dann für Marma? Und trotzdem blieb Marma so süß und heiter wie immer. Marma ist uns allen ein Beispiel, dachte Hannah, und später, als ihr Blick auf die Auslage des Zeitungskiosks fiel, dachte sie, wie seltsam, dass sie ausgerechnet jetzt an Marma gedacht hatte. LADY TRUSSLERS LIEBHABER ERZÄHLT DIE WAHRE GESCHICHTE ! leuchtete ihr in grellen Lettern entgegen.
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Blutgeld
LADY TRUSSLERS LIEBHABER
ERZÄHLT DIE WAHRE GESCHICHTE !
Exklusivinterview mit Peter Repton.
Von Meg Leakey
Der Mann, der mir gegenübersitzt, hat vor einem Monat seinen zweiundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Seine Haare sind von grauen Strähnen durchzogen, und seine Stirn hat tiefe Falten, die von Leid zeugen. Wenn er lächelt, leuchten seine blauen Augen, und in den Mundwinkeln bilden sich zwei Grübchen. Wenn er lächelt, weiß man, warum Lady Trussler ihre Ehe, ihre Stellung in der Gesellschaft und ihren Ruf für ihn riskiert hat.
Peter Repton lebt in einem Cottage in dem hübschen Dörfchen Ardfern, nahe der Küstenstadt Oban im schottischen Hochland. Wir trinken Tee in dem kleinen Wohnzimmer mit Blick auf den wunderschönen See, der in der Sonne glitzert. Die Szene strahlt Ruhe und Frieden aus. Es ist kaum zu glauben, dass das Leben dieses Mannes von einer brisanten Affäre zerrissen wurde, die ihn bis zum heutigen Tag verfolgt. Es gibt Menschen, die behaupten, seine spätere Ehe mit Penelope Dangerfield, Tochter und Erbin des Diamantentycoons Sir James Dangerfield, hätte nie eine Chance gehabt.
Ich frage Peter, was ihn bewogen hat, jetzt, nach so vielen Jahren, sein Schweigen zu brechen. Er antwortet zögernd, leise. Manchmal muss ich mich vorbeugen, um ihn zu verstehen. Von Zeit zu Zeit ballt er unwillkürlich die Faust, es zeigt den enormen Druck, unter dem er steht, und straft seine sanfte, ruhige Stimme Lügen.
»Philippa war die Liebe meines Lebens«, sagt er. »Als ich von dem schäbigen Tod Lord Trusslers erfahren habe und an ihren Schmerz und die Erniedrigung dachte, unter denen sie gelitten hat und immer noch leiden muss, wusste ich, was ich zu tun habe …« Er hält inne, schüttelt leicht den Kopf und kann nur mit Mühe seine Gefühle zurückhalten. »Ich fühlte mich verpflichtet zu sprechen. Die Welt soll erfahren, was für ein Mann er wirklich war.«
Ich bemerke, dass er häufig zu einer Fotografie auf dem kleinen Beistelltisch neben sich schaut. Er folgt meinem Blick und reicht mir das Foto. »Das ist Philippa«, sagt er. »Ich habe das Foto gemacht. Ich weiß es noch wie heute. Ist sie nicht wunderschön?«
Das Gesicht einer reifen Frau schaut mich an. Sie ist in der Tat wunderschön. Das blonde Haar fällt über ihre Schultern, ein Lächeln umspielt die vollen Lippen, ihre Augen leuchten vor Liebe. Es ist das Bild einer Frau, die ihren Geliebten ansieht, einer Frau, die sich ihrer Reize bewusst ist. Ich finde es beinahe unerträglich berührend.
Ich frage: »Wie haben Sie sie kennengelernt?«
»Ich war mit ihrem Schwiegersohn, Ed Granger, befreundet. Ed und ich hatten viel gemeinsam. Wir waren beide die rechte Hand eines Ministers. Wir waren jung und ehrgeizig und wollten einen Sitz im Parlament. Ed wurde in den Midlands gewählt. Es half, dass er mit Michael Trusslers Tochter verheiratet war, aber jeder wusste, dass er brillant war. Trussler gab eine Party für ihn, zu der ich eingeladen war. Ich erinnere mich daran, wie ich Philippa auf der anderen Seite des Raums gesehen habe. Sie trug ein rotes Kleid, und ich dachte, was ist ihr Mann bloß für ein Glückspilz. Und dann kam sie herüber und fragte mich, wer ich sei, unsere Blicke trafen sich, und alles, was ich
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