Übersinnlich
Horizont zu, während Blues Nähe mich beschützte.
Was wartete in der Ferne der Zukunft auf uns? Lange dachte ich nicht darüber nach. Meine Gedanken flossen wie die Strömung. Schwerelos und frei. Ich ließ meine Arme über den Bootsrand hängen und berührte mit den Fingerspitzen die Wellen.
„Nimm, Meer, mir die Beine“, sagte ich leise. „Denn sie zwingen mich an das Land.“
Kerstin Dirks
Zur Serie
Lykandras Krieger
Vasterian Krobanis war der mächtigste Vampir, der existierte. Er hatte alles gesehen, war Teil der Geschichte geworden, hatte in sie eingegriffen, das Schicksal gelenkt. Und er hatte Krieg geführt, gegen seine Erzfeinde – die Krieger Lykandras. Es war ein langer, unerbittlicher Krieg gewesen, der auf beiden Seiten viele Opfer gefordert hatte. Aber dieser Krieg war nun vorbei. Auch dies war seine Entscheidung gewesen.
Vasterian war schön, mächtig und unsterblich. Wie konnte es anders sein, als dass viele seine Nähe suchten, sich um ihn drängten wie Motten um das Licht, ihm sogar feind wurden, weil ihr Glanz den seinen niemals zu überstrahlen vermochte.
Doch wer genauer hinsah, wer sich die Zeit nahm, hinter seine kühle Fassade zu blicken, der verlor den Willen sehr schnell, ihm ähnlich zu werden. Vasterian war müde und erschöpft. Ein blasses Abbild seines einstigen Selbst. Oft hatte er gewünscht, sich einfach zur Ruhe legen zu können, abzuschließen, zu schlafen, vielleicht für immer. Wäre da nicht die Frage nach dem Warum, dem Sinn des großen Ganzen, auf die er trotz all seiner Forschungen, seiner Weisheit, keine Antwort fand.
Als das älteste Wesen unter dem Himmel fühlte er sich einsam, denn es gab niemanden, der ihn verstand, der war wie er. Viele der Ältesten waren gefallen und mit dem Verräter Ror war schließlich auch der letzte von ihnen gegangen. Jene, die sich jetzt „Älteste“ nannten, zählten kaum mehr als 500 Jahre, bildeten sich darauf sogar etwas ein. Dabei waren 500 Jahre ein verschwindend geringer Zeitraum, ein Wimpernschlag, wenn man so lange existierte wie er. Vasterian war in ein tiefes Loch gefallen, hatte nur noch funktioniert. Die Speichellecker um ihn herum hatten sich angebiedert, ohne wirklich etwas zu verstehen. Alles, was sie wollten, war seine Macht, einen winzigen Tropfen seines Blutes, um ihm ebenbürtig zu werden. Aber dann, von einer Nacht auf die andere, hatte sich plötzlich alles verändert und die Antwort nach seiner brennendsten Frage schien greifbarer als jemals zuvor.
Das kleine Wesen in seinen Armen ließ ihn sein eigenes Herz spüren. Es klopfte wild vor Aufregung. Oh, dass er zu solch einer Regung überhaupt noch fähig war, es schien ihm ein Wunder. Aber er spürte noch mehr. Wärme. Zuneigung. Den Wunsch, dieses kleine Mädchen zu beschützen. Sie gab ihm das Gefühl, neugeboren zu sein, und doch schien er zugleich am Ende seiner Reise angekommen. Als hätte er sein Ziel erreicht.
Die Urmutter der Werwölfe, Lykandra, hatte ihre eigene Schwester, seine Königin, vor unvorstellbar langer Zeit im Kampf getötet und somit auch einen Teil von ihm, Schande über ihn gebracht. Er hatte als Leibwächter versagt, weil er im entscheidenden Moment nicht bei ihr gewesen war.
Verbitterung und Wut, Verzweiflung, unendlicher Zorn hatten sich in ihm breitgemacht, ihn fast wahnsinnig werden lassen, ihn angestachelt, immer grausamer gegen die verhassten Werwölfe vorzugehen. Und selbst Lykandras Schicksal, das sie dazu verdammte, jede Nacht im Gewand des Mondes zu erscheinen und über ihre Kinder zu wachen, hatte seinen Rachedurst niemals erlöschen lassen. Doch nun war all dieser Hass verschwunden, wenn er in das zierliche Gesicht des Säuglings blickte, der noch nicht einmal ahnte, welch großes Schicksal ihn erwartete und dass die Seele Königin Pyrs in ihm schlief.
Wolfsängerin,
ISBN: 978-3-940235-27-5
Vorsichtig nahm ihm die Menschenfrau ihr Baby ab und wiegte es sanft in den Armen. Vasterian wusste, dass es von Anfang an das Schicksal dieser Frau gewesen war, Pyr ein zweites Leben zu schenken, weil sie einst von der Vampirkönigin berührt worden war. Er spürte aber auch, dass ihm sowohl die Mutter als auch der Vater, der ein Werwolf war, misstrauten. Wer hätte es ihnen verdenken können? Der Waffenstillstand währte noch nicht lang. Er war so zerbrechlich wie dieses Mädchen, das Frieden über sie gebracht hatte, weil es beide Völker in sich vereinte.
Und so waren sie übereingekommen, dass Vasterian sich der kleinen
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