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Übersinnlich

Übersinnlich

Titel: Übersinnlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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beenden, dem Gespenst aus der Vergangenheit in die Augen zu sehen und Frieden zu schließen.
    „Du bist sein Mörder.“ Javiers Stimme war ein Knurren.
    „Er hätte nicht dort sein sollen.“
    „Das ist kein Grund, auf Kinder zu schießen.“
    „Er sah nicht aus wie ein Kind“, fuhr Alan auf. „Er war eine Silhouette hinter der Scheibe eines Wagens, aus dem drei Männer mit Maschinenpistolen feuerten. Ich war es nicht, der Marty den Job als Fahrer für de Vito verschafft hat.“
    Eine gefährliche Stille entstand.
    „Du brauchst mir nicht zu antworten. Ich bin nicht gekommen, um Schuldzuweisungen zu wälzen.“ Alans Schultern sackten nach unten. „Ich habe den Jungen geliebt.“
    Da war der Riss, eine winzige Öffnung. Als sie sich daran festklammerte, sprang scharfe Qual in ihren Schläfen auf, wie immer, wenn sie versuchte, jemanden zu manipulieren. Unsicherheit glitt über Javiers Gesicht.
    „Ich arbeite nicht mehr für de Vito. Schon lange nicht mehr.“
    Der Riss vibrierte. Ihre Kopfschmerzen wurden schlimmer. Sie schloss die Augen, um ihre Konzentration aufrecht zu erhalten. Javiers Emotionen tobten wie ein Staubsturm. Sie zuckte fast zusammen, als er plötzlich seine Aufmerksamkeit auf sie richtete.
    „Verlassen Sie mein Haus.“
    „Aber ich …“ Was war schiefgelaufen? Hatte sie zu ungeschickt nach den feinen Schwingungen gegriffen, einen Strang übersehen? Hatte er gar bemerkt, was sie zu tun versucht hatte? Aber nein, das war unmöglich. Woher sollte er wissen, dass so etwas überhaupt möglich war?
    „Alle beide.“ Javier sprang so heftig vom Sofa auf, dass die Kaffeetasse umstürzte. Glockenhell klirrte das Porzellan. „Verschwinden Sie oder ich rufe die Cops. Jetzt gleich.“

    Zwei Tage später rief Javier auf Eves Handy an und verlangte mit rauer Stimme nach Alan.
    Alans Gesicht blieb reglos, während er Javier lauschte.
    Eve hoffte plötzlich aus ganzen Herzen, dass dieser Anruf Alan aus der selbstzerstörerischen Lethargie reißen würde, in die er nach ihrer Rückkehr verfallen war. Es schmerzte, ihn in dieser Stimmung zu sehen. Nichts, was sie tat, schien ihn aufmuntern zu können, und das schürte ihre Frustration. Selbst über die Anerkennung der Leute von der L. A. Times, die von ihrer Mariposa-Geschichte begeistert waren, konnte sie sich nicht freuen. Nicht, wenn Alan sich in einen Geist verwandelte, der nicht genug davon bekommen konnte, sich zu bestrafen.
    „Er will uns sehen“, sagte Alan, nachdem er aufgelegt hatte. Seine Hand mit dem Telefon hing hinab wie ein Fremdkörper.
    „Uns beide?“
    „Ja. Jetzt gleich. Er sagt, sie haben eine neue Leiche gefunden. Und er muss uns was zeigen.“
    „Hat er was wegen Marty gesagt?“
    Sein Blick verschleierte sich. „Nein.“
    „Aber er wollte mit dir sprechen, nicht mit mir.“
    „Er sagt, wenn ich wirklich das bin, was sein Bruder behauptet hat, dann müsse ich ihnen helfen.“ Javier wartete bereits auf sie am Tor zum Vorgarten seines Hauses. Eve stoppte den Wagen neben ihm und ließ das Fenster hinunter.
    „Lassen Sie mich einsteigen“, sagte er. „Ich zeige es Ihnen.“
    Seine Nervosität war fast körperlich greifbar. Er knetete ununterbrochen seine Finger, nachdem er sich auf den Rücksitz des Toyota Camry gezwängt hatte.
    Eve drehte sich um und sah ihn zwischen den Sitzen hindurch an. „Wo fahren wir hin?“
    „Da vorn links.“ Javier deutete mit einem knochigen braunen Finger durch die Scheibe.
    Sie passierten ein paar Kreuzungen, folgten dem Venice Boulevard und bogen in ein Labyrinth kleiner Straßen ab. Ihr Ziel war ein Sandplatz voller Lagercontainer unter der Freeway-Brücke. Stacheldraht sperrte das Gelände ab.
    Eve stieg aus, nahm ihre Handtasche und warf die Tür zu. Javier baute sich vor Alan auf. Der Mann wirkte kein bisschen lächerlich, obwohl er fast zwei Köpfe kleiner war. Er tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Ich glaube, mein kleiner Bruder hatte recht. Auch wenn wir damals dachten, er hätte sich den Kopf angestoßen. Du siehst immer noch genauso aus wie vor sechzehn Jahren. Kein bisschen älter. Ist das wahr mit den Kugeln?“
    „Was?“, fragte Alan sanft.
    „Dass man dich nicht erschießen kann. Dass die Kugeln einfach wieder rausfallen und die Wunden zuwachsen.“ Er spuckte auf den Boden. „Wie beim Terminator?“
    „Kommt darauf an, wie viele es sind.“ Alan lächelte dünn.
    Javier bleckte die Zähne. „Dann kannst du vielleicht da runtergehen und diesem

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